Mai/Juni 2023 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1421
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Ein Kopfballduell zwischen den Spielern von Sparta und dem DFC Prag aus der Vorkriegszeit. Foto: © Národní muzeum – Historické muzeum/Nationalmuseum – Historisches Museum

»Hola Freunde, potřebuji s vámi mluvit ohledně Jiří Popper«, diese Mitteilung erreichte uns, den altneuen Deutschen Fußballclub Prag, über unsere Facebook-Seite. Über diesen Kanal kommen normalerweise nur Anfragen von Eltern nach Trainingszeiten. Ebenso werden wir nach Fanartikeln gefragt. Mützen, Schals, Krawattennadeln, Poloshirts und Vereinschroniken können wir aber den Interessierten aus vielen Ländern Europas bislang noch nicht bieten. Hier aber schrieb jemand, der mit uns über Jiří Popper reden wollte. Jiří Popper? Der Name sagte mir auf Anhieb nichts. Ich hatte mich in den letzten Jahren immer intensiver mit der Geschichte des DFC beschäftigt und kannte somit eine ganze Reihe der damaligen Spieler. Dass mir ein Popper bislang nicht untergekommen war, hätte daran liegen können, dass in den mehr als vierzig Jahren natürlich unglaublich viele Spieler das Dress unseres Klubs trugen. Mit Popper verhielt sich die Geschichte aber anders, wie mir eine kurze Google-Recherche verriet. Ich entdeckte zahlreiche Artikel auf den Webseiten führender spanischer Zeitungen. Jiří Popper war ein jüdischer Junge, der von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet worden war. Das Museum Auschwitz veröffentlicht regelmäßig in seinen Sozialen Medien persönliche Schicksale des Holocausts. Das Beispiel Poppers sorgte für Aufsehen in der spanischen Internet-Community, denn der kleine Junge trägt auf dem Foto am Revers ein Abzeichen des spanischen Klubs Real Sociedad San Sebastián. Wie konnte dieser kleine Junge aus der Tschechoslowakei an das Abzeichen gekommen sein? Schnell stieß man auf Spiele des DFC Prag gegen San Sebastian. Weihnachten 1923 siegten die Prager in Spanien 3:1. Das Rückspiel in Prag im September 1924 wurde zu einer Demontage der Spanier. Der DFC siegte 11:1. Jiří Popper wurde erst 1923 geboren, er konnte die Spiele also nicht verfolgt haben. Ein Verwandter oder ein Freund muss ihm später dieses Abzeichen gegeben haben. Dass Jiří Popper, den die Nazis später in Auschwitz ermordeten, das Abzeichen eines spanischen Klubs am Revers trug, zeigt, dass Fußball bereits in diesen Jahren eine große europäische Erzählung war.

Die kleinen Kicker der Junioren des DFC zeigen vollen Einsatz. Foto © Peer GröningDie kleinen Kicker der Junioren des DFC zeigen vollen Einsatz. Foto © Peer Gröning

Am 28. Mai 1896 gründeten Mitglieder des Prager Rudervereins »Regatta« den Deutschen Fußballclub Prag. Ein erstes fußballerisches Ausrufezeichen hatte man bereits 1893 gesetzt, als man als Ruderverein kurzfristig einsprang, um den fußballbegeisterten Gärtnern des Schlosses der Thurn und Taxis in Lautschin/Loučeň auf der Prager Kaiserwiese einen Gegner zu stellen. Dieses Match gilt als erstes Fußballspiel in den böhmischen Ländern. Wie in vielen anderen Ländern Europas setzte nun der steile Aufstieg des Fußballsports ein. Überall gründeten sich Klubs und immer größer wurden das Publikum und die Anhängerschaft dieser Mannschaften. In diesen Zeiten beginnt auch die ruhmreiche Geschichte von Slavia und Sparta Prag. Dass es aber noch einen weiteren großen Prager Klub gegeben hat, ist heute nur ausgewiesenen Kennern bewusst. Der DFC Prag feierte große Erfolge. Seine Gegner suchte er sich zusehends auch im Ausland. Nach der schmerzhaften Zäsur durch den Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei kehrte der DFC auf die europäische Fußballbühne zurück. Jedes Jahr unternahm die Profimannschaft des Klubs, der auch zahlreiche Nationalspieler der Tschechoslowakei stellte, mehrere Tourneen durch Europa, was gelegentlich zu Protesten unter der Prager Anhängerschaft führte, die sich mit den Spielen einer Reservemannschaft begnügen musste. Die internationalen Spiele sollten dem DFC die notwendigen Finanzen bringen. Trotz dieser Einnahmen hatte der Klub fortwährend Geldprobleme, sodass seine Prager Kontrahenten ihn als »De-Fi-Cit« verspotteten.

Die größten Triumphe im Inland hatte der DFC bei zwei tschechoslowakischen Amateurmeisterschaften 1931 und 1933. In den dreißiger Jahren konnte der Verein aber schon längst nicht mehr an seine großen Erfolge anknüpfen. Die gewaltigen politischen Veränderungen dieser Zeit ließen den Fußball in den Hintergrund treten. Der Sudetendeutschen Partei (SdP) Konrad Henleins versagte sich der Klub. Er war zu sehr im deutschsprachigen bürgerlich-liberalen Lager verwurzelt. Im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im September 1938 im Vorfeld des Münchener Abkommens zur Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich stellte der DFC Prag nach 42 Jahren seine Spieltätigkeit ein und wurde 1939 nach Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren behördlich aufgelöst.

 

Ein Spiel der Juniorenmannschaft des DFC, bei dem die jungen Kicker vollen Einsatz zeigen. Foto: © Peer GröningFoto: © Peer Gröning

»Der Fußball hat unser Leben gerettet«, berichten mir Angehörige der Familie Mahrer. Der gebürtige Teplitzer Paul Mahrer schloss sich nach dem Ersten Weltkrieg dem DFC Prag an und führte später das Team als Kapitän an. Für die Tschechoslowakei bestritt er Länderspiele und gehörte auch der Olympiamannschaft 1924 an. Nach einigen Spielzeiten in der amerikanischen Profiliga kehrte er in die Tschechoslowakei zurück und verbrachte seine letzten Profijahre beim DFC. Im Protektorat wurde er verhaftet und nach Theresienstadt verschleppt. Hier im Ghetto spielte er in der sogenannten Ghetto-Liga, die den Menschen für eine gewisse Zeit eine zumindest sportliche Normalität bot. Kurz nach der Befreiung ging Mahrer mit seiner amerikanischen Frau in die USA. Nicht allen Spielern des DFC war es allerdings vergönnt, in die sichere Emigration zu gelangen. So musste der DFC unter seinen Spielern auch Opfer des Holocausts beklagen.

Die Legende kehrt zurück

»Bau ein Team des DFC auf«, diese Nachricht erreichte mich 2014 von Sebastian Bona, dem Sprecher der »Initiative 1903«. Dieser Verein verschreibt sich der Erinnerung an die Erste Deutsche Meisterschaft des Jahres 1903, an eine Zeit, in der der Fußball in Deutschland laufen lernte. Drei Jahre nach seiner Gründung führte der Deutsche Fußballbund eine erste landesweite Meisterschaft durch, an der auch das Gründungsmitglied Deutscher Fußballclub Prag teilnahm. An der ersten Spielrunde nahmen noch fünf weitere Teams teil. Dementsprechend wurde mit dem Viertelfinale begonnen, bei dem sich die Kontrahenten aus Prag und dem Karlsruher Fußballverein aber nicht auf den Austragungsort einigen konnten, sodass das Spiel letztlich zu einem Halbfinale gemacht wurde. Dieses Spiel wurde jedoch nicht ausgetragen, weil die Karlsruher ein gefälschtes Telegramm erreichte, in dem von der Absage der Begegnung die Rede war. Der DFC gelangte dadurch direkt ins Finale, in dem er in Hamburg-Altona dem VfB Leipzig mit 2:7 unterlag.

Die »Initiative 1903« bereist seit Jahren diejenigen Vereine, die 1903 dabei waren und erinnert an diese erste Meisterschaft, durch eine Gedenkveranstaltung und vor allem durch ein Traditionsmatch. Für 2015 hatte man sich die tschechische Hauptstadt und den DFC ausgeguckt: einen Klub, der seit 1939 nicht mehr existierte, der keine Spieler, keinen Trainer und kein Stadion hatte und nur einigen Fußballfeinschmeckern noch ein Begriff war. So wurde ich 2015 zu Spieler, Trainer und Teammanager in einer Person. Da sich die »Initiative 1903« in der Tradition des VfB Leipzig sieht, sollte nichts Geringeres als eine Wiederholung des Endspiels um die Erste Deutsche Meisterschaft organisiert werden. Aus Tschechen, Prager Deutschen, einem Holländer und einem Österreicher konnte letztlich für den DFC ein buntes Team zusammengestellt werden, das der »Initiative 1903/VfB Leipzig« – wie einst 1903 – mit 2:7 unterlag. Ein Ergebnis, das keinesfalls aus dramaturgischen Gründen abgesprochen, sondern einfach eine Laune des Fußballsports war.

Das erste Spiel des DFC nach 77 Jahren stieß in Tschechien auf großes Medienecho und breites Interesse. Schnell fand sich eine Gruppe, die sich das Ziel setzte, den DFC wiederzubeleben. In Zusammenarbeit mit den drei deutschen Schulen in Prag wird seitdem Jugendfußball angeboten. 2016 wurde der DFC offiziell ins Vereinsregister eingetragen und Mitglied im Tschechischen Fußballverband. Die Rückkehr einer Legende ist allerdings auch ein steiniger Weg. Es ist ein schmaler Grat zwischen einem gut funktionierenden Fußballklub und einem geschichtsträchtigen Fußballprojekt. Sinn und Zweck des neu gegründeten Klubs ist der Fußballsport, der begleitet wird von einer aktiven Geschichtsarbeit, die Spieler, Mitglieder und die Öffentlichkeit einbinden soll. Nur so kann es dem Klub zukünftig gelingen, sich als Fußballverein in Prag zu etablieren. Der DFC hat keine lokale Bindung, er ist nicht der Klub eines bestimmten Stadtteils. Er kann bislang auch nicht konkurrieren mit den großen Prager Klubs, die sich durch eine professionelle und breit aufgestellte Jugendarbeit auszeichnen. Die große Chance des DFC für die Zukunft liegt darin, genau das zu sein, was er bei seiner Gründung 1896 war – ein Klub, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam versuchen, mehr Tore zu schießen als ihre Gegner.

www.dfcprag.com
Die Website des DFC Prag

Multikulturell und erfolgreich: Doku über 125 Jahre Fußballverein DFC Prag
Radio Prag International, 28.05.2021