Schicksal oder Zufall? Ein großer Erzähler trifft auf einen anderen, der mit seinen „Opowieści, Maises und Kaskalim aus seiner Kindheit in Brody“ – so nennt man Geschichten in Galizien – sein Umfeld begeistert! Die kurz gefasste Erläuterung dieser sonderbaren Begegnung ließe sich ungefähr so zusammenfassen: Nach einigen Wanderjahren lässt sich der in Darmstadt geborene Schriftsteller Jan Koneffke mit seiner aus Rumänien stammenden Frau in Wien nieder und entdeckt, dass einst das Wiener Haus in der Rembrandtstraße 35 im jüdischen Viertel zwischen Augarten, Prater und Donaukanal, in dem er heute lebt, Roths „erste Meldeadresse“ war. Kein Wunder, dass dieser Zufall Koneffkes Fantasie in Gang setzt und er eine Geschichte rund um Joseph Roth als Untermieter bei einer jüdischen Familie in Wien erfindet.
Über Joseph Roths erste Zeit in Wien als Student der Philosophie und Literaturwissenschaft, kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbricht, ist wenig bekannt. Es liegt nahe, dass Koneffke anfängt, sich Treppenhaus-Gespräche mit dem Studenten aus Galizien auszudenken. – Und so findet eine Begegnung zwischen zwei Erzählgenies jenseits des Raums und der Zeit statt. Das Ergebnis ist ein spannender Roman über Joseph Roths „Wiener Beginn“, über seine aus der Bukowina stammende Untermieterfamilie, über den Umzug seiner Mutter aus Galizien nach Wien sowie über seine erste Liebe Fanny. Letztere trifft Muniu – das ist Josephs Spitzname – noch einmal im Pariser Exil kurz vor seinem Tod und konstatiert:
»Ich liebte einen leidenden Menschen, der trotz seines Alters von erst 43 uralt war, den verfallenen Rest eines Mannes, ja, eine Ruine an Seele und Leib, in der nur noch sein scharfer und witziger Geist umging. Was Joseph von unserem Zimmerherrn trennte, war wesentlich mehr als ein Leben: ein Weltenbrand.«
Jan Konnefke: Im Schatten zweier Sommer
Roman
Verlag Galiani Berlin, 2024
304 Seiten | 24,– Euro | ISBN-13: 978-3-86971-270-3
weitere Informationen zum Buch
Jan Koneffke | Foto: © Johannes KauperJan Koneffke, geboren 1960 in Darmstadt, studierte und arbeitete ab 1981 in Berlin. Nach seinem Villa-Massimo-Stipendium 1995 lebte er für weitere sieben Jahre in Rom und pendelt heute zwischen Wien, Bukarest und dem Karpatenort Măneciu. Koneffke schreibt Romane, Lyrik, Kinderbücher, Essays und übersetzt aus dem Italienischen und Rumänischen. Er wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt für Ein Sonntagskind mit dem Uwe-Johnson-Preis 2016 und für sein Lyrikprojekt Abgesang mit dem Robert-Gernhardt-Preis 2022.
Die vom
Deutschen Kulturforum östliches Europa 2020 initiierte Lesereihe Unerhörte Familiengeschichten aus dem östlichen Europa widmet sich historischen Landschaften des östlichen Europa, in denen Kulturen und Menschen im 20. Jahrhundert unheilvoll aufeinanderprallten.
In Kooperation mit dem
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin.
Das Kulturforum wird gefördert von der
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Samstag, 1. März 2025, 17:00 Uhr
Jeder ist wer
Lesung mit Josef Brustmann
| Datum | Sa, 25.01.2025 |
| Zeit | 17:00 Uhr |
| Eintritt | 6,– Euro | ermäßigt 4,– Euro |
| Barrierefrei | Nein |
Literaturforum im Brecht-Haus Berlin
Chausseestraße 125, 10115 Berlin, Deutschland
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