Vorschläge zur Änderung des Wahl- und des Minderheitengesetzes

Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 26.06.2003

Budapest, Juni 2003, SONNTAGSBLATT, S. 2, deutsch

Die Mitglieder der Deutschen Selbstverwaltungen (DSVW) sollen eindeutig direkt aus den Reihen der deutschen Volksgruppe gewählt werden. Dies beschloss die Landesselbstveraltung der Ungarndeutschen (LdU) auf ihrer Sondersitzung am 26. April (2003 – MD) in Budapest. Das Wahlgesetz müsse in diesem Sinne abgeändert werden. Vorschläge dazu hatte der Minderheitenombudsmann Dr. Jenö Kaltenbach vorgelegt. In den Unterlagen wurden auch »objektive Kriterien« für die Feststellung der Volksgruppenzugehörigkeit genannt: Kenntnis der Kultur, der Traditionen der betreffenden Volksgruppe und Beherrschen ihrer Sprache. Wie dies stichhaltig festzustellen sei, blieb allerdings in der Schwebe. Soll ein Notar oder die örtliche Wahlkommission die Sprachkenntnis bestätigen? Hat man eine Sprachprüfung vorzuweisen oder reicht es, wenn man deutsch »Guten Tag!« wünschen kann? Auch die mögliche Kontrolle durch Minderheiten-Gemeinschaften wurde nicht näher umrissen. Bezüglich der Eintragung in eine Minderheiten-Wählerliste – Registrierung – äußerten mehrere Diskussionsteilnehmer starke Bedenken.
Die ausführlich vorgetragene Stellungnahme von Geza Hambuch - Mitglied der LdU und der Jakob-Bleyer-Gemeinschaft (Verein mit Sitz in Budapest, setzt sich für Belange der Ungarndeutschen ein – MD) – veröffentlichen wir nachstehend:

»Deutsche sollen die Deutschen vertreten – Saubere Lage durch Gesetzesänderungen

In medias res: Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Sache fester in die Hand nehmen. Tun wir es nicht, wird es keiner für uns tun und werden folglich viele unserer Vorhaben auf der Strecke bleiben.
Genauso ist es höchste Zeit, dass gute Gesetze für das Gedeihen der ungarländischen Volksgruppen, so auch für eine wirksamere Interessenvertretung, geschaffen werden. Wir stehen in der Pflicht, uns auch dafür stark zu machen.
Von dieser Warte aus will ich zu den Unterlagen des Minderheiten-Beauftragten Jenö Kaltenbach bezüglich der Wahl der Minderheitenselbstverwaltungen (MSVW) Stellung nehmen und Vorschläge machen.

Vom Wichtigeren nicht ablenken

Das den Mitgliedern der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) zugestellte Papier des Ombudsmannes fokussiert auf die Missbräuche bei den Minderheitenwahlen 1998 und 2002. Einverstanden: Denen soll zu Leibe gerückt werden. Den Unfug – obgleich er sich wohl am wenigsten auf die deutsche Volksgruppe bezieht – dürfen auch wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. (Gemeint ist, dass sich in Ungarn jeder in die Führung jeder beliebigen Minderheitenselbstverwaltung wählen lassen kann, auch wenn er dieser Minderheit gar nicht angehört. 2002 ist es vor allem bei den Wahlen zu den Minderheitenselbstverwaltungen der Rumänen in Ungarn zu zahlreichen Missbräuchen gekommen. – MD) Aber er darf auch nicht aufgebauscht werden. Und keinesfalls darf er von ungleich wichtigeren Anliegen ablenken – und diese Gefahr besteht durchaus: So von der dringenden Notwendigkeit eines wirklich guten Minderheitengesetzes (MG) und somit vom Schaffen tatsächlich fördernder gesetzlicher und finanzieller Voraussetzungen für das Wirken der MSVW.
Im Klartext: Die sinnvolle Modifizierung der Wahlprozedur der MSVW muss unbedingt mit der Novellierung der MG gekoppelt werden. Und die Wahlmissbräuche werden am besten ihrem Ausmaß und dem tatsächlich angerichteten Schaden entsprechend behandelt.
Wir kennen unsere Pappenheimer: Ist das Leichtere mal getan, werden Regierung und Parlament das Schwierigere gern auf die lange Bank schieben. Das wäre – unsere Interessen vor Augen und aus strategischer Sicht – einfach unverzeihlich. Auch darum gilt es, das Parlament, das am 24. März 2003 beschlossen hat, Wahl- und Minderheitengesetz gleichzeitig abzuändern, gegebenenfalls beim Wort zu nehmen.

Die gründliche ist die beste Lösung – Was nun konkret Wahlfragen betrifft

Man hat immer wieder die Erfahrung gemacht: Herumwursteln bringt gewöhnlich nicht das Angepeilte. Die beste Lösung ist immer die gründliche – fallweise radikale – Lösung. Die gute Lösung hieße: eindeutiges, öffentliches, namentliches Bekennen zu seiner Volksgruppe. Bei Volkszählungen und auch sonst. Ich plädiere wiederholt dafür. Dann wäre es doch sonnenklar, wer befugt ist, Minderheitenrepräsentanten zu wählen, wem das Recht zusteht, als neue Generationen heran, die die Demütigungen und Heimsuchungen der Älteren nicht mehr erlebt haben. Das berechtigt doch zur Hoffnung, dass sich das Offenkundige, das Vernünftige – gesetzlich untermauert – eher früher als später Bahn brechen wird.
Heute und morgen freilich, so voraussichtlich auch bei den Wahlen 2006, müssen wir mit der Geheimnistuerei, mit der – Entschuldigung! – Lahmarschigkeit vorlieb nehmen, müssen uns mit weniger guten Lösungen zufrieden geben und Kompromisse eingehen.
Ich vertrete den Standpunkt: Bezüglich des passiven Wahlrechts, also des Rechts, gewählt zu werden und wählen zu dürfen, muss durchaus radikal vorgegangen werden. Bezüglich des aktiven Wahlrechts hingegen gilt es unbedingt Bedachtheit walten zu lassen, Denken und Fühlen der Volksgruppen und ihre Interessen vor Augen zu halten.
Es liegt auf der Hand: Wir brauchen Abgeordnete, die der deutschen Sprache mächtig sind, sich den kulturellen Werten der Volksgruppe verbunden fühlen. Wohl noch wichtiger sind folgende Gesichtspunkte für die Nominierung und Wahl der Vertreter: Sie müssen das Zeug dazu und Erfahrungen im Minderheitenbereich haben, der Volksgruppe verpflichtet sein, für sie wirklich was tun wollen und auch können, gegebenenfalls auch Zähne zeigen.
Wie sollen die Kandidaten ermittelt und aufgestellt werden? Keinesfalls wie gehabt! Bei den bisherigen Wahlen traten die meisten als „Unabhängige“ an (unabhängig von der Volksgruppe?) Es reichte von fünf Personen empfohlen zu werden und schon war man nominiert und man kam auf die Liste. Niemand durfte die Volksgruppenzugehörigkeit prüfen. Gerade die diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen öffneten den Wahlmissbräuchen breite Tore. Schluss damit!

Eine Möglichkeit: Wählerforen

Ein Allheilmittel ist bislang niemandem eingefallen. Eine mögliche Lösung könnten Wählerforen – man kann sie auch Nominierungs- oder Bürgerforen nennen – bieten, auf denen die kollektive Weisheit zur Geltung kommen kann. Sie haben Wurzeln in den Volksgruppen. Bei uns Deutschen jedenfalls.
Bei diesen möglichst breit angelegten Wählerforen können von den Teilnehmern geeignete Personen nominiert werden, können Personen aber auch aus eigenen Stücken antreten.
Den Kandidaten wird beim Meinungsaustausch die Gelegenheit geboten, sich selber und auch ihr Programm vorzustellen, ihre Bindung zur Volksgruppe, so auch ihre Sprachkenntnis, stichhaltig nachzuweisen. Nominiert wird nach festgelegten Gesichtspunkten und nach dem Mehrheitssystem. Das Alphabet darf keinerlei Rolle spielen. Bei den bisherigen Wahlen wurden Personen, deren Familienname z. B. mit einem W oder Z begann, gewöhnlich nicht gewählt. Nichtvorgeschlagene können nicht auf die Listen kommen und folglich auch nicht gewählt werden. Die Wahlversammlung wirkt also als eine Art Sieb, das Nichterwünschte, Nichtgeeignete einfach durchfallen lässt.
Das Recht, ein Wählerforum anzuregen, soll in erster Linie eingetragenen örtlichen und Landesvereinen zustehen. Wo es keine zivilen Körperschaften gibt, können MSVW oder eine genau festzulegende Zahl von Minderheitenbürgern mit diesem Recht ausgestattet werden. Die gesetzliche Aufsicht über den Verlauf der Versammlung soll der örtlichen Wahlkommission oder der Landesselbstverwaltung der Volksgruppe überlassen bleiben. Der Vorgang muss natürlich eingehend kodifiziert werden.
Die Finanzen für die Wählerforen, für eine bis dato vermisste, jedoch unbedingt erforderliche Kampagne überhaupt, wären natürlich – wie bei anderen Wahlen und gleichrangig – aus öffentlicher Hand zu decken. Am Vorschlag zum Bürgerforum kann und muss natürlich noch gefeilt werden.«

(Zwischenüberschriften aus der Originalquelle übernommen – MD) (me)