Norman Davies und Roger Moorhouse präsentieren mit ihrem Werk über Breslau eine Stadtgeschichte jenseits nationaler Vereinnahmung. München: Droemer, 2002.
Tanja Krombach
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Buchvorstellung am 27. Juni 2002 in Berlin

Auf der Rückreise von Breslau, wo ihm für seine „Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt“ am 24. Juni die Ehrenbürgerschaft verliehen worden war, wollte Norman Davies sein Buch auch in Berlin präsentieren – war die niederschlesische Metropole doch jahrhundertelang von Preußen geprägt und ist Die Blume Europas ganz bewusst zur gleichen Zeit auf Englisch, Polnisch und Deutsch erschienen. Mit ihrem Buch möchten Davies und Moorhouse die einseitige Darstellung der Stadtgeschichte von deutscher oder polnischer Seite aufbrechen. Sie zeigen die verschiedenen historischen Phasen der Stadt, die sich auch in ihren Namen spiegeln, mit denen die Kapitel des Buches überschrieben sind: Wrotizla in der Zeit der schlesischen Piastenherzöge zwischen 1000 und 1335, Wretslaw bis 1526 als zweitgrößte Stadt des Königreichs Böhmen nach Prag, Presslaw bis 1741 unter den Habsburgern, Bresslau unter den Preußen, Breslau nach der deutschen Reichseinigung 1871 und Wrocław als polnische Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg.

Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel – in dessen ebenfalls in diesem Jahr erschienenen Buch Die Mitte liegt ostwärts Essays der letzten zehn Jahre zum Thema Europa, Deutschland und seine östlichen Nachbarn versammelt sind – hob in seiner einleitenden Rede das Verdienst der Autoren hervor, das Thema Breslau „heraus aus dem verminten Gelände“ geführt zu haben. Das Buch erzähle nicht nur vom Zauber der Stadt, wie er in deutschen Erinnerungen beschworen wird, sondern auch von der Härte der Geschichte. In diesem Zusammenhang scheint es übrigens bezeichnend, dass der Titel der englischen und der polnischen Ausgabe Mikrokosmos lautet – eine Anspielung auf die für die gesamte ostmitteleuropäische Region typische Kulturmischung aus slawischen, deutschen und jüdischen Anteilen, die sich in der Stadt im Kleinen zeigt –, die deutsche Version hingegen die Metapher des Breslauer Barockdichters Martin Opitz.

Roger Moorhouse erzählte in seinem Bericht über die Entstehungsgeschichte des Buches von einem 1995 stattgefundenen Gespräch zwischen Davies und dem damaligen Stadtpräsidenten Breslaus, der sich eine neue Stadtgeschichte jenseits der bipolaren Optik deutscher und polnischer Historiker wünschte. Sie sollte sich nicht nur an Fachleute, sondern an alle Einwohner und auch die deutschen Heimattouristen wenden. Diese Aufgabe schien ihm aber weder von einem Polen noch von einem Deutschen lösbar. Davies tat sich mit seinem Schüler Moorhouse, damals in Düsseldorf Doktorand und von der Geschichte der ehemaligen deutschen Ostgebiete fasziniert, zu einem Autorenteam zusammen und nahm das epochale Werk in Angriff. Dabei waren ihnen zwei Grundzüge wichtig: Die Betonung der Tatsache, dass es auch in den Zeiten, als die Stadt überwiegend deutsch war, polnische, tschechische und vor allem jüdische Bevölkerungsanteile gegeben hatte und die Einbindung der Geschichte Breslaus in den gesamteuropäischen Zusammenhang.

Norman Davies äußerte sich zur Stadtgeschichtsschreibung in Breslau, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Universität Breslau auf ihrem Höhepunkt befunden hatte. Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts wurde sie jedoch immer nationalistischer, bis Breslau schließlich zum Zentrum der nationalsozialistischen Ostforschung wurde. Nach 1945 habe es von polnischer Seite eine Überbetonung der Bedeutung der Zeit der Piastenherzöge für die Stadt gegeben, auch um die Übernahme der ehemals deutsch besiedelten Gebiete im Westen zu rechtfertigen. Die Geschichtsschreibung der Vertriebenen in Deutschland habe dagegen ignoriert, dass es auch eine polnische Vertreibung gegeben hat und sich die Bevölkerung Breslaus nun zum großen Teil aus Lembergern zusammensetzte – „a whole city moved“, wie Norman Davies es ausdrückte.

Der Aspekt der Multinationalität interessiert Davies generell und besonders in Bezug auf die Geschichte Polens und er hat sie in seinem Standardwerk Im Herzen Europas stets betont. Interessant im Zusammenhang mit Breslau sei zudem das Nebeneinander verschiedener Konfessionen. Hier lebten Calvinisten, Lutheraner und Katholiken zusammen und vor allem in der Preußenzeit blühte die jüdische Gemeinde auf. Breslau war im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Berlin das große Zentrum der ostjüdischen assimilierten Kultur. Von den zehn deutschen Nobelpreisträgern, die aus dieser Stadt stammen, waren sieben jüdischer Herkunft – ein Phänomen, das Breslau mit keiner anderen europäischen Stadt teilt.

Die Frage aus dem Publikum, ob man Breslau wirklich als multikulturelle Stadt sehen könne, wurde von beiden Autoren verneint. Sie sei seit dem Mittelalter überwiegend deutsch gewesen, aber eben nicht nur, wie es die Historiker aus den Reihen der Vertriebenen behaupten. Auch für die polnische Geschichtsschreibung sei die Darstellung der verschiedenen Einflüsse von Tschechen, Habsburgern, Preußen und Juden auf die Stadt neu. In Polen sei das Buch allgemein gelobt worden. Nur die Breslauer selbst seien ihm eher kritisch begegnet – was Norman Davies aber gegenüber einem Engländer, der ihnen die Geschichte ihrer Heimatstadt präsentiert, verständlich erschienen sei.

Davies, Norman; Moorhouse, Roger: Die Blume Europas. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. München: Droemer 2002. ISBN 3-426-27259-8, 600 S., 38.00 €.