Von den zahlreichen Schlössern Niederschlesiens liegen viele in Ruinen. Sie alle zu rekonstruieren, ist unmöglich. Aber wie können sie sonst nachhaltig gesichert und genutzt werden? Der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Arne Franke hegt dazu schon lange eine Idee. Die Ausschreibung »Vielstimmige Erinnerung« der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für eine studentische Summer School zum Thema deutscher Kulturtraditionen in Mittel- und Osteuropa ermöglichte es ihm, sie gemeinsam mit dem Kulturforum umzusetzen. Von Ariane Afsari
März/April 2022 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1428
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Schlossruinen-Werkstatt. Foto: © Arne Franke

Auf einer fast geraden, knapp sechzig Kilometer langen Nord-Süd-Linie am östlichen Fuß des Eulengebirges/Góry Sowie liegen vier einst prächtige Schlösser: Laasan/Łażany, Penkendorf/Panków, Habendorf/Owiesno und Raudnitz/Rudnica. Arne Franke, Fachmann für die schlesische Schlösserlandschaft, hat sie aus Tausenden ausgesucht. In dieser Region gibt es, wie er konstatiert, die höchste Konzentration an Adelssitzen, Schlössern und Herrenhäusern in ganz Europa. »Diese vier Residenzen bieten trotz oder gerade wegen ihres ruinösen Zustandes ganz besonders gutes Anschauungsmaterial für die Studierenden.«

Abgebröckelter Putz legt eingebaute Spolien, also wiederverwendete Baumaterialien früherer Bauphasen, frei, aufgefundene Handstrichziegel im sogenannten Klosterformat deuten auf gotisches Mauerwerk hin, Baunähte lassen auf teils gravierende Umbauten schließen, hervortretende Sgraffitomalereien, deren Motive durch das Kratzen übereinandergelegter unterschiedlich eingefärbter Putzschichten entstehen, sind stilsignifikante Indizien für eine Entstehungszeit in der Renaissance. Eifrig betreiben die Studierenden Bestandsaufnahmen. Aber sie machen auch Erkundungstouren durch die Dörfer zur Infrastruktur, zu touristischen Angeboten, zur Meinung Einheimischer über die Ruine: »Wir hätten gern mehr Gastronomieangebote oder Eventflächen, auch für Touristen, aber niemand will Ideen, Zeit und Geld investieren«, notieren sie etwa in Raudnitz, oder: »Hier gibt es viel Fahrradtourismus, die Festung Silberberg/Srebrna Góra im Eulengebirge ist ein nahes und beliebtes Ausflugsziel.« Die Bürgermeisterin von Penkendorf gibt vom Gartentor aus Auskunft: »Ich wünsche mir eine gemeinnützige Verwendung, wobei eine Verbindung mit kommerziellem Gebrauch denkbar ist. Schön wäre eine Gaststube unter freiem Himmel, das würde den Charme der Ruine bewahren. Die Dorfgemeinschaft unterstützt das, sie wäre schon froh, wenn es ein paar Bänke im Schlosshof gäbe.«

Bausteine für ein Nutzungskonzept

Aus Bestandsaufnahme, Auswertung und Dorferkundung entwickelten die Studierenden nun Ideen für eine zukünftige Nutzung der einzelnen Ruinen. Verblüffend einfach, vielleicht nicht ganz preiswert, aber auch nicht horrend teuer und dem Befund der Bausubstanz entsprechend präsentierte das Team Raudnitz seine Vision: Den Anfang macht die Säuberung und statische Sicherung der Ruine sowie die Pflege des angrenzenden Teiches und der großen Parkwiese. Die ist mit ein paar mobilen Toiletten für wildes Camping wie geschaffen. Und damit die Besucher etwas zu besichtigen haben, wird die Ruine zum Klettergarten: Eine über Treppen erschlossene, frei um und durch die Ruine geführte stählerne Galerie ermöglicht die Betrachtung ihres wertvollsten Schatzes: der erhalten gebliebenen Sgraffitomalereien. Diese zählen mit ihren Groteskenmotiven und figuralen Darstellungen zu den frühesten dieser Art in Schlesien und sind aufgrund ihres Alters und Erhaltungszustandes sowie ihrer hohen künstlerischen Qualität von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Konserviert, hinter Glas geschützt und mit Informationstafeln versehen, sollen sie den Höhepunkt einer alle vier Ruinen verbindenden Radroute bilden. In einer nächsten Ausbaustufe schlagen die Studenten in einem der Wirtschaftsgebäude ein Café mit Fahrradladen und Verleihstation vor.

Den spätmittelalterlichen Ursprung der auf den Anfang des 14. Jahrhunderts zurückgehenden, nahezu kreisrunden Wasserburg Habendorf bestätigten bei der Bestandsaufnahme das Bruchsteinmauerwerk der Kernburg und des Turmfundaments, sekundär verwendete, spitz zulaufende Dachziegel (»Bischofsmützen«) sowie spätgotische Handstrichziegel. Da die Ruine neben ihrem Alter besonders die reizvolle Lage in einem Landschaftspark auszeichnet, sieht die Nutzungsidee des Teams Habendorf außer einer Säuberung und der statischen Sicherung der Ruine auch neue Wege und die Pflege des Parks sowie die Errichtung eines Aufenthalts-Pavillons vor, in dem gelegentlich Gartenworkshops abgehalten werden sollen.

Schlösserruinen-Werkstatt © Arne FrankeSchlösserruinen-Werkstatt. Foto: © Arne Franke

Der Besitzer der Ruine von Penkendorf, Piotr Mazurek, betreibt Fahrsport mit der Kutsche und vier Pferden – einem Vierspänner. Er hält Reitpferde und betreibt seine eigene Zucht im an das Schloss grenzenden Wirtschaftshof. Schon sein Vater, ursprünglich aus Lemberg/Lwiw stammend, begann hier mit der Pferdezucht, erzählt er. Bereits in Galizien hatten die Vorfahren die Pferdezucht, vorwiegend für den Bedarf der Armee, betrieben. Mazurek möchte im Schloss eine Art Pferdepension unterbringen. Das wird die Studentengruppe in ihrem Konzept berücksichtigen: Durch in die offene, statisch ertüchtigte Ruine einsetzbare kleine Holzhäuser wollen sie außergewöhnliche Schlafplätze schaffen. Gleichzeitig gehen sie auf die Belange des Dorfes ein mit der Einrichtung einer Weinstube in einem der Keller und einem offenen Platz zum Klönen, für Freiluftkino oder Ähnliches, darüber.

Liegt Schönheit im Auge des Betrachters? Ja, schon, sagt Arne Franke. Aber zumindest im Wortschatz eines professionellen Denkmalpflegers habe diese Kategorie nichts zu suchen. So betrachtete man noch im 19. Jahrhundert barocke Bauten nicht als erhaltenswert, und in der Nachkriegszeit die Architektur des Jugendstils. Der ab den 1950er Jahren gebaute Brutalismus wird heute oft als unästhetisch geschmäht und abgerissen, obwohl auch dieser ein Ausdruck seiner Zeit ist und damit einen hohen kulturellen Aussagewert hat. Für die Ignoranz, die man in späteren Epochen jüngeren Baustilen entgegenbringt, ist Schloss Laasan ein gutes Beispiel. Bis zu einem Gutachten, das auf Wunsch des Besitzers Friedrich Niclas Graf von Pfeil-Burghauß durch den letzten Provinzialkonservator Niederschlesiens, Günther Grundmann, im Juli 1944 in Breslau erstellt wurde, war das Schloss in der schlesischen Kunstgeschichte ganz unbekannt. Sein einheitlich barockes Erscheinungsbild fanden die Kunst­his­toriker bis An­­fang des 20. Jahrhunderts nicht sonderlich bemerkenswert. Dabei übersahen sie aber, dass sich dahinter ein wesentlich älteres Festes Haus der Renaissance, vielleicht sogar ein mittelalterlicher Ur­sprung verbirgt.

Das Team Laasan lokalisierte und kategorisierte zahlreiche Spolien aus der Renaissance wie zeittypisch profilierte Fenstergewände, Fragmente von Türeinfassungen, Wappen des einstigen Renaissanceportals sowie Reste von Sgraffitodekorationen an den Außenfassaden. Zusammen mit noch erhaltenen Gewölben sind diese Befunde Ausdruck einer in Schlesien zu dieser Zeit landestypischen Baugestaltung. Doch die Zeiten änderten sich, und zwischen 1717 und 1726 wurde das Schloss unter Carl Gottlieb von Nostitz dem neuen Zeitgeschmack des Barock und dem Vermögen seiner Frau Beate Abigail von Siegroth angepasst. Allerdings eher zurückhaltend: Im Wesentlichen wurden die ungleichmäßigen Bauteile der Renaissance unter einem einheitlich durchlaufenden Dach zusammengefasst – mit symmetrischer Durchfensterung und regelmäßiger Fassadengliederung durch korinthische Kolossalpilaster.

Im späten 18. Jahrhundert wird das Anwesen als florierend beschrieben; auf dem Wirtschaftshof gibt es außer Stallungen, Scheunen und Wohngebäuden für die Gutsarbeiter auch eine Ölmühle sowie Brennerei und Brauerei. Kamil Fornal, der junge polnische Besitzer des Schlosses seit 2017, hat an letztere Tradition angeknüpft und braut im nahe gelegenen Saarau/Żarów eigenes Bier der Marke Łażany. Seine Motivation, sich der Ruine anzunehmen? »Ich kam zu der Erkenntnis, dass wir als die gegenwärtige Generation das zu schätzen wissen müssen, was es früher gab. Also habe ich mir gedacht, wenn ich die Möglichkeiten habe, warum nicht? Zumindest ein Objekt kann ich ja retten.« Aber das Team rät ihm davon ab, es in der ursprünglichen Form wiederaufzubauen. Es schlägt ein alternatives Nutzungskonzept vor:  Warum nicht einen Laden mit dem Verkauf des eigenen Bieres und einem Verzehrangebot in einem der zahlreichen Wirtschaftsgebäude einrichten, touristische Unterkünfte in den ehemaligen Wohngebäuden sowie einen Weg zur Pergola im Park schaffen? Dort könnte Fornal Workshops zum Thema »Konservieren statt Restaurieren« anbieten. Und natürlich müsste auch eine Ausstellungsfläche für eine Dokumentation und die geborgenen Reste der weit über die schlesischen Grenzen hinaus bekannten ersten kontinentalen gusseisernen Brücke von 1796 eingerichtet werden.

Bei einem gemeinsamen Łażany-Bier kommt es zu einem spannenden Gespräch zwischen den Studenten und Fornal über Denkmalpflege. Aber bei der Nutzung kommen sie auch nach dem zweiten Bier nicht auf einen Nenner.

Literaturtipp

Buchcover: Gelebtes KulturerbeGelebtes Kulturerbe. Praktische denkmalpflegerische Aneignung eines gemeinsamen Kulturerbes in Schlesien im deutsch-polnischen Grenzraum
Herausgegeben vom Deutschen Kulturforum östliches Europa und Arne Franke
Potsdam 2022, 98 Seiten
Broschüre als PDF-Datei abrufbar