Am 8. September 1888 wird auf einer Anhöhe bei Teplitz ein erstes Kudlich-Denkmal in Anwesenheit des Bauernbefreiers selbst eingeweiht
Ulrich Miksch
1
Teplitz/Teplice: Blick auf den Wasserturm, rechts im Hintergrund das Kudlich-Denkmal. Foto: © Heidelinde Obermann

Wer heute Teplitz-Schönau besucht, kann schon von weitem den modernen Wasserturm erspähen, der in den 1980er Jahren an der Stelle errichtet wurde, wo seit 1888 das Kudlich-Denkmal stand. Dieses befindet sich nun 100 Meter entfernt auf der gleichen Anhöhe: dem Wacholderberg.

Hans Kudlich (1823–1917)Hans Kudlich (1823–1917)

Als Hans Kudlich 1888 nach 15 Jahren aus Amerika zurückkam, stand er im 65. Lebensjahr. Seine revolutionäre Tat der Einbringung eines »Robot-Befreiungsgesetzes«, das Kaiser Ferdinand I. 1848 sanktionierte, jährte sich zum 40. Mal. Kudlich hatte gefordert:

»Von nun an ist das Untertänigkeitsverhältnis samt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und wie eine Entschädigung zu leisten sei.«

Nun waren 40 Jahre ins Land gegangen, in denen jenes Gesetz seine Wirkung entfaltet hatte und die Bauern von letzten Resten der Abhängigkeit befreit worden waren.

Kudlich war nach seiner Verurteilung zum Tode 1854 und seiner Rehabilitierung 1867 schon einmal für zwei Jahre im Land gewesen, in denen er seine Memoiren geschrieben hatte. Nun ging er nach Karlsbad zur Kur. 1888 entwickelte sich ein reger Brief- und Besuchsverkehr, der zu Festversammlungen zur Feier der »Robot-Befreiung« mit Kudlichs Anwesenheit als Höhepunkt führte.

»Ich bemerkte eine außerordentliche äußerliche und geistige Umwandlung bei den Bauern.«

schreibt er in einer Festschrift des Teplitz-Schönauer Anzeigers und äußert seine Freude darüber, dass nun scheinbar auch in Österreich, wo Feiertage bisher immer kirchlichen Charakter tragen, die amerikanische Art Festtagen einen patriotisch-nationalen Charakter zu verleihen, zum Ausdruck komme.

Das Kudlich-Denkmal auf dem Wacholderberg, Foto: © Ulrich MikschDas Kudlich-Denkmal auf dem Wacholderberg, Foto: © Ulrich Miksch

Ein Komitee aus Vertretern der Gemeinden und Bezirke Teplitz, Dux und Billin beschloss am 8. September den Gedenktag zu feiern und ein Denkmal auf dem Wacholderberg zu errichten. Wie die Freie Neue Presse berichtet, fand dieser Beschluss

»freudigen Widerhall. […] Auf dem bezeichneten Berge […] erhebt sich bereits ein nach einer Skizze des Reichsraths-Abgeordneten Ingenieur Siegmund errichteter hoher Obelisk aus Sandstein... Den Sockel bildet eine pittoreske Felsgruppierung, zu welcher jede Gemeinde der drei Bezirke einen mit dem Namen der betreffenden Gemeinde bezeichneten Stein beigestellt hat.«

Das Mährische Tagblatt schreibt dazu:

»Am Freitag […] gelang es den Obelisken...auf den Wacholderberg zu schaffen. Es mussten 16 Lastthiere vorgespannt werden, um den mehr als 100 Centner wiegenden Stein hinaufzubringen. Die Steine sind von allen Orten der Umgebung. Aber auch die Ortschaften, welche wegen der Schwierigkeit des Transportes und der Kürze der Zeit keine Steine sandten, nehmen lebhaften Antheil an dem Feste […]. Eine Ausnahme von den 163 Ortschaften macht nur eine einzige im Töplitzer Bezirke. Der Ortsvorsteher von Dschetze, Herr Wenzel Zimmermann, schrieb an den Festausschuß, dass leider kein Gespann im Orte sei, er aber nöthigenfalls mit dem Schubkarren den Stein herbeifahren wolle […].«

Foto: © Ulrich MikschFoto: © Ulrich Miksch

Kudlich trifft am 7. September auf dem Teplitzer Bahnhof ein, wo er von Adolf Siegmund, dem Reichsratsabgeordneten für die böhmischen Städte Aussig, Karbitz und Teplitz empfangen wird. Der Ingenieur und zeichnende Schöpfer des Obelisken Siegmund begrüßt Kudlich im Namen der Stadt. Teplitz sei bereits von vielen hohen Gästen besucht worden, doch heute widerfahre der Stadt die größte Ehre, da ein Mann in seine Mitte gekommen sei, dessen Verdienste Millionen preisen. Kudlich dankte, er nehme das Lob nicht für seine Person, sondern freue sich, dass die 1848er Ideen so festen Boden gefasst hatten. Vor dem Bahnhof warten Tausende Menschen. Kudlich fährt durch die festlich geschmückte Bahnhofs- und Königstrasse in das Kaiserbad, wo ihm ein Quartier bereitet wurde. Gegen Abend geht es zur Besichtigung einer Höhenbeleuchtung des Erz- und Böhmischen Mittelgebirges auf den Schlossberg.

Wer am 8. September 1888 die Neue Freie Presse zur Hand nahm, konnte auf der Titelseite eine Würdigung der Bauernbefreiung lesen, die auf die Feiern in Böhmen, Mähren und Schlesien einging. Der Kommentator schrieb:

»Die Männer, welche in diesen Tagen an zahlreichen Orten der deutschen und deutsch-slavischen Kronländer sich zusammenthun, um die Aufhebung der Robot, die Befreiung des österreichischen Bauers aus der […] drückenden Lage zu feiern, sind von einem […] klaren Verständnisse für unsere Geschichte geleitet....Je mehr die Wogen der Leidenschaft, welche das Geschichtsbild der österreichischen Erhebung (von 1848) trübten, unter der milden Hand der Zeit sich glätten, desto deutlicher ist zu erkennen, dass dieses Werk der Bauernbefreiung nicht etwa ein zufällig verschont gebliebener Rest des […] Errungenen ist, […] sondern dass diese Zerstörung eines drückenden, menschenunwürdigen Zustandes den Kern und das Wesen der damaligen Erhebung gebildet hat, und wenn die Unterthänigkeit aufgehoben blieb, so ist das ein Sieg der Bewegung […]. Die österreichischen Bauern aber […] mögen […] sich von ihren Großvätern erzählen lassen, wie es vor den Märztagen in Österreich ausgesehen...Die Freiheit hat erst den Bauer zum vollberechtigten Staatsbürger, zum Herrn seiner selbst gemacht.«

Das <i>Prager Tagblatt</i> vom 10. September 1888. © Ulrich MikschDas <i>Prager Tagblatt</i> vom 10. September 1888.<br />Foto: © Ulrich Miksch

Das Prager Tageblatt schildert die Befreiungsfeier in Teplitz, das damals rund 18.000 Einwohner zählte, folgendermaßen:

»In der Nacht ging ein starker Regen nieder […]. Nichtsdestoweniger schmückt sich die Stadt immer reicher und in den Straßen begegnet man bereits Schaaren von Landleuten in festlicher Stimmung. Um die Mittagsstunde formirte sich auf dem Markt- und Schulplatze der Festzug, an welchem Vertreter sämtlicher Ortschaften und Vereine der Gerichtsbezirke Bilin, Dux und Teplitz theilnahmen; […] die Zahl der Theilnehmer betrug nahe an 20.000. Kudlich wurde überaus stürmisch begrüßt. Um 13 Uhr bewegte sich der Festzug vom Schulplatze durch die Graupengasse, Marktplatz, Langegasse, Schlossplatz und Jägerzeile nach dem etwa 45 Minuten von der Stadt entfernten Wacholderberg bei Kradrob, woselbst die Enthüllung des Befreiungsdenkmals stattfand.«

Das Mährische Tagblatt schreibt über den weiteren Fortgang:

»Um halb 3 Uhr hatte sich der Festzug in Gruppen rings um das Befreiungsdenkmal rangiert. Der Männergesangsverein trug den Mozart’schen ›Weihe-Chor‹ vor, und als derselbe verklungen, betrat […] Dr. Milner die Tribüne, um die Festrede zu halten.«

Es ist ein geschichtlicher Diskurs über die Zustände des Bauernstandes vor 1848, zu dem Emanuel Milner, Reichsratsabgeordneter für die Landgemeinden Saaz, Komotau, u.a. anhebt. Er spricht über aktuelle Probleme, von denen das drängendste das in der Gefahr schwebende deutsche Volkstum sei, wohl in Auseinandersetzung mit den tschechischen Nationalbewegungen.

»So begrüßen wir denn in unserer Noth den treuen Freund, der da kommt, um uns zu […] helfen. (Frenetischer Jubel.) Nachdem der Festredner geendet hatte, fiel die Hülle vom Denkmale unter brausenden Hoch-Rufen und Pöllerschüssen. Es traten drei weißgekleidete Mädchen vor, von denen Hans Kudlich, sichtlich gerührt, Lorbeerkränze entgegennahm. Als dann begaben sich drei Bauerngreise im Alter von 92 Jahren zu Kudlich, um ihm die Hände zu küssen, und Einer derselben drückte mit thränenerstickter Stimme die Freude aller Bauern darüber aus, den Mann, welchem die Aufhebung der Robot zu verdanken sei, von Angesicht zu Angesicht sehen und begrüßen zu können.«

Die Freie Neue Presse schildert, wie Kudlich auf seine Weise dankt:

»In meiner Jugend habe ich von den römischen und griechischen Helden geträumt, wie sie bekränzt und gefeiert wurden, und habe gedacht: So etwas passirt einem österreichischen Bauernjungen heutzutage gewiß nicht. Und heute habe ich es erlebt; […] Ich nehme es […] an im Namen jener Freiheitskämpfer, welche in Schmach und Schande zu Grunde gerichtet wurden, für meine Leidensgenossen von 1848; ich nehme es an für alle Jene, welche dasselbe wie ich geleistet haben und mit einer Kugel hiefür belohnt wurden. Ich habe es immer betont, dass ich bei diesen Festen nicht die Hauptrolle spielen will, diese bleibt zuerkannt den Freiheitsideen aus dem Jahre 1848.«

Das Prager Tagblatt fügt eine Beschreibung des enthüllten Denkmals ein:

»(es) besteht aus einem 4 Meter hohen Unterbau aus Basaltsteinen, an welchen sich die von den Ortschaften […] gespendeten Widmungssteine […] anlehnen. Auf diesem Unterbau erhebt sich sechs Meter hoch ein Sandstein-Obelisk in einfachen, aber schön gegliederten Formen, und daran sind nach den vier Seiten Marmortafeln mit folgenden Inschriften angebracht:

1. Am 8. September 1848 fielen die Fesseln des Frondienstes – am 8. September 1888 erstand dieses Denkmal;

2. In Treue und Dankbarkeit die Bewohner der Bezirke Bilin, Dux und Teplitz;

3. Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern;

4. Was die Väter kämpfend errungen, sollen wachsam wahren die Jungen..«

Die Neue Freie Presse schließt ihren Bericht mit den Worten:

»Nachdem […] der Obmann des Festcomités, Herr Oppelt aus Bruch, das Denkmal in den Schutz der Gemeinde Kradrob übergeben und der Gemeindevorstand Bretschneider es übernommen, wurde aus vielen tausend Kehlen das ›Deutsche Lied‹ angestimmt. Hiemit war die Feier zu Ende.«

Am nächsten Tag reiste Kudlich nach Tetschen ab. In Tetschen, Bodenbach und auf dem Weg nach Losdorf und zurück feierten ihn rund 5000 Menschen. Am 14. September traf er im »Deutschen Haus« in Prag führende Deutsch-Böhmen, am 16./17. September war Kudlich Ehrengast eines Deutsch-Mährischen Bauerntages in Brünn, zu dem sich etwa 4.000 Menschen zusammenfanden. Pilgerort war das Kaiser Joseph-Denkmal im Augarten. Dann fuhr Kudlich zu Feiern in Sternberg, Olmütz, Troppau, Jägerndorf und Bennisch. Während seines Aufenthaltes im Kuhländchen gibt er eine erste Einschätzung seiner Rundreise: Die Robot-Befreiungsfeste hätten seine Nerven besser gestählt als die Quellen von Karlsbad. Nach Karlsbad fährt er dennoch zurück, am 13.10. weiter nach Saaz. Hans Kudlich, der in einer Mischung aus »Volkskaiser« und »reiche[r] Onkel[ ] aus Amerika« überall gefeiert wurde, zieht nach der Grundsteinlegung Bilanz:

»In der letzten Zeit habe ich in Österreich Festtage mitgemacht von einer solchen Herzlichkeit, Großartigkeit und Würde, dass sie den Deutschen in Österreich zur Ehre gereichen. Ich habe mir bei meiner […] Rundfahrt zur Aufgabe gesetzt, das nationale Selbstbewusstsein, das Einheitsstreben der Deutschen zu beleben und zu fördern. Wenn mir dies gelungen ist, […] dann fahre ich befriedigt und mit dem Bewusstsein erfolgreich erfüllter Pflicht in meine Heimath Amerika zurück; wenn aber das Streben nach Einigkeit nicht wächst und gedeiht, dann war auch unsere heutige Begeisterung nur ein Champagnerrausch, von dem nur Bedauern zurückbleibt.«

Die Rede Kudlichs umschreibt die eine Seite der politischen Lage. Eine Einheit zwischen deutschen Bürgern, die die Revolution vorangetrieben hatten, und deutschen Bauern, die dadurch zu freien Staatsbürgern wurden, sollte wegen des aufkommenden Selbstbewusstseins der Tschechen gefunden werden. Aus diesen Festen entstanden an vielen Orten im heutigen Tschechien Kudlich-Denkmäler. Nach 1920, als alle Kaiser-Denkmäler in der 1. ČSR gesetzlich erzwungen geschleift wurden, wurden einige gerade zum 100. Geburtstag des Bauernbefreiers 1923 umgewidmet zu Kudlich-Denkmälern. Wenn sie Denkmäler für Joseph II. ersetzten, auch ein wenig zu Recht.

Die andere Seite der politischen Lage, die Nationalitätenfrage, berührt Kudlich in seiner Rede auch:

»Wie die Sonne über Gerechte und Ungerechte scheint, so hat der Reichstagsbeschluß von 1848 alle Nationen befreit von den letzten drückenden Lasten, welche ihnen seit dem Faustrechte des Mittelalters anhafteten. […] Die meisten haben wohl des segensreichen Jahres 1848 ganz vergessen, andere marschiren im Gefolge ihres Hochadels einher und stehen abseits von der Festesfreude. Sie aber, meine deutschen Freunde, feiern die Erinnerung an die vor vierzig Jahren erfolgte Gleichstellung des Bauern mit den übrigen Staatsbürgern mit jauchzender Seele, Sie danken Gott, dass sie seit vierzig Jahren die Rechte von Staatsbürgern genießen […].«

Da gingen zwei Dinge nur schwer zusammen. Wenn man die Einheit der Deutschen feiern wollte, wird kaum ein Nicht-Deutscher hinzutreten. Der Anlass der Bauernbefreiung war im Kern übernational. Das hat sich im Bemühen heutiger Tschechen um das Denkmal auf dem Wacholderberg bemerkbar gemacht. Bei der Wiederherstellung im Jahr 1991 wurde es mit zweisprachig gehaltenen Tafeln versehen, sodass auch der deutschen Sprache nicht mächtige Tschechen den historischen Gehalt erschließen können. Leider ist die Schrift nach nur 20 Jahren schon sehr verblasst.

Neueste Beiträge