Potsdamer Neueste Nachrichten, 22.03.2003, Jan Kixmüller
Zwei Lehren zieht der ehemalige ungarische Botschafter in Deutschland, Gergely Pröhle, aus dem „Tag von Potsdam“. Zum einen müsse man darauf achten, keine falschen Parallelen aus der Geschichte zu ziehen. Der Nationalsozialismus sei für Deutschland atypisch gewesen, ebenso wie Adolf Hitler nichts mit Preußen zu tun gehabt habe. Die Tatsache, dass die Garnisonkirche nicht mehr stehe, zeige, dass auch die Kommunisten diese Logik nicht durchbrachen. Sie stellten die unschuldigen Steine der Kirche mit Hitler in eine Tradition. Der zweite Schluss, den der Diplomat aus dem historischen Datum zieht, ist die heute noch hochaktuelle Frage, wann die internationale Staatengemeinschaft eingreifen muss - etwa um ein demokratisch gewähltes Regime in Frage zu stellen.
Der ungarische Diplomat vermittelte gestern als Gast des Deutschen Kulturforums Osteuropa zur Bildungswoche im Alten Rathaus den europäischen Blick auf den „Tag von Potsdam“. Er zeigte sich sehr zuversichtlich, dass die europäische Entwicklung in der Nachkriegszeit eine gemeinsame Werteordnung hervorgebracht habe, die Eingriffe der internationalen Staatengemeinschaft bestenfalls sogar überflüssig machen könnte. Und zwar indem antidemokratische Kräfte erst gar nicht an die Macht kommen. Dennoch bleibe die Frage, wie weit das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes gehen kann, etwa so weit, dass es eine Demokratie durch Diktatur ersetzt oder aus dem Staatenbund aussteigt. Wie etwa solle sich die Weltöffentlichkeit verhalten, wenn die Kurden in Folge des Irak-Krieges einen eigenen Staat bilden wollen und damit das Gleichgewicht der Region in Gefahr bringen? Diese Frage sei nach wie vor unbeantwortet.
Zum deutsch-ungarischen Verhältnis konnte der Diplomat feststellen, dass es damals wie heute durch eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit der Ungarn von den Deutschen geprägt sei. Ein weiteres Moment, dass die Ungarn damals mit den deutschen Befindlichkeiten verband, war der Verlust von Staatsterritorium nach dem Ersten Weltkrieg. So habe es zumindest ein Verständnis für die deutsche Schmach von Versailles gegeben. Hinzu kam eine starke deutschsprachige Kultur in Ungarn. Doch die ungarischen Reaktionen auf den „Tag von Potsdam“ fielen nicht so positiv aus, wie man hätte erwarten können. So stellte etwa der damalige ungarische Botschafter fest, wie bemerkenswert es doch sei, dass ausgerechnet ein Österreicher die Deutschen an ihre preußischen Traditionen erinnern müsse. Zwei Jahre später wurde der Diplomat auf Betreiben Goebbels’ abberufen. Im ungarischen Parlament fragte man sich nach dem 21. März 1933, ob die „Arznei nicht schlimmer ist als die Krankheit“. Man schwankte zwischen Zuspruch und Ablehnung. In den katholischen Kreisen des Landes war die Ablehnung allerdings vordergründig.
Auch die ungarische Presse dieser Tage spiegelte ein zwiegespaltenes Bild. Mit einem Witz machte eine Tageszeitung am 22. März ‘33 auf: „Wie viel Uhr ist es? Diktatur.“ Dass mit Hitler ein zweifelhaftes Regime an die Macht gekommen war, wagte kaum jemand zu bezweifeln. Deutlich wurde aber auch, dass man die Kritik zurückstelle, wenn sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern erbaulicher gestalte als mit der Weimarer Republik.
- Potsdamer Neueste Nachrichten
Der oben stehende Artikel ist nicht in der Internetausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten enthalten.