Identität und Integration der Russlanddeutschen: Podiumsdiskussion des Deutschen Kulturforums Osteuropa
Jan Kixmüller

Das Land war ihnen fremd. Das Deutschland, in das die Russlanddeutschen nach dem Ende der Sowjetunion die Heimreise antraten, war ein anderes, als das Deutschland, das sie sich vorgestellt hatten. Überrascht reagierten viele der Aussiedler etwa darauf, dass in Deutschland Ausländer leben. Heute weiß Rita Pauls, die in den 90er Jahren aus Kasachstan nach Stuttgart kam, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass es zwischen den Deutschen und den rund zweieinhalb Millionen Russlanddeutschen nicht immer ganz harmonisch zugeht. Das Problem sei, dass viele Russlanddeutsche eher nationalistisch, deutsch-patriotisch denken würden. Was dem stärker multikulturellen Verständnis der Deutschen zuwider laufe. Rita Pauls, die unlängst als Protagonistin in Ulla Lachauers Buch »Ritas Leute« bekannt wurde, sieht hier Handlungsbedarf: Die Russlanddeutschen müssten sich in Deutschland eine stärker europäische Gesinnung aneignen. Integration nicht im Sinne einer vollkommenen Assimilierung, sondern als Anpassung an bestehende Wertesysteme, Sprache und Kultur.

Andererseits war es auf dem Podium der Diskussion über Identität und Integration der Russlanddeutschen des Deutschen Kulturforums Konsens, dass auch auf deutscher Seite etwas geschehen müsse. Die Integration der aus Russland gekommenen Deutschstämmigen sollte mit Wohlwollen und Geduld begleitet werden. Und natürlich auch mit der nötigen Unterstützung, etwa für am Arbeitsmarkt orientierte Projekte. Denn Arbeitslosigkeit ist eins der größten Probleme, vor allem für die junge Generation der Aussiedler. Die wohl höchste Hürde für die zurückgekehrten Auswanderer ist der Generationskonflikt. Die meisten Jugendlichen wollten aus ihrer russischen Heimat nicht weggehen, doch die Eltern nahmen sie mit in die unbekannte alte Heimat. Und natürlich bringen die in Russland sozialisierten Urenkel der Auswanderergeneration auch kaum Deutschkenntnisse mit – die letzten deutschen Schulen hatte Stalin 1941 schließen lassen. Wer also in der neuen Heimat keinen Anschluss findet, ist erst einmal isoliert. Probleme mit Drogen, Gewalt und Kriminalität könnten hier ihre Ursache haben.

Die russische Kaiserin Katharina II. hatte im 18. Jahrhundert deutsche Kolonisten nach Russland geholt, um das fruchtbare Gebiet der unteren Wolga gegen die Tataren zu sichern. Später entstanden auch Kolonien am Schwarzen Meer, in Sibirien, Kasachstan und anderen Landstrichen. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurden die Russlanddeutschen von Stalin als Kollaborateure zu Unrecht umgesiedelt und verschleppt – fast ein Viertel von ihnen kam dabei ums Leben. Mit der Perestroika kam es schließlich zu einem starken Auswanderungsstrom nach Deutschland.

An den Kern der Problematik arbeitete sich die vom Deutschlandfunk aufgezeichnete gut besuchte Diskussion im Alten Rathaus erst gegen Ende heran. »Wir wissen zu wenig voneinander«, brachte die Bundestagsabgeordnete Jelena Hoffmann aus Chemnitz die Sache auf den Punkt. Und tatsächlich stand die Geschichte der Russlanddeutschen weder in Ost noch West bislang auf dem Lehrplan. Ursache vielleicht dafür, dass sich sogar Politiker wie Oskar Lafontaine und Norbert Blüm zu abfälligen Bemerkungen über die Einwanderer hinreißen lassen. »Den Deutschen ist nicht bewusst, welche Verantwortung sie für diesen Teil ihrer Bevölkerung tragen«, stellte Jelena Hoffmann fest.

Die Versuche der Bundesregierung, den Exodus der Russlanddeutschen Anfang der 90er Jahre zu stoppen, indem man in Russland in die Infrastruktur investierte, scheiterten. »Und wieso auch die Einwanderung stoppen?«, fragte Berlins Migrationsbeauftragte Barbara John. »Wir brauchen die Einwanderung.« Aber dafür müssten die Russlanddeutschen auch zur Integration bereit sein. Denn wer etwas erreichen wolle, müsse zumindest die Sprache beherrschen. Eine andere Schattenseite der Einwanderung brachte der Historiker Gerd Stricker zur Sprache. Die Zahl von über zwei Millionen Einwanderern sei für die Gesellschaft nicht leicht zu verkraften, und durch gebündelte Ansiedelungen würden Gettos entstehen.

Die Autorin Ulla Lachauer meinte schließlich aber, alles sei bloß eine Frage der Zeit. Würden doch die Einwanderer in den kommenden Generationen in die deutsche Gesellschaft aufgehen, sich das Problem also von selbst lösen. Bis dahin sollte man sich aber die größte Mühe miteinander geben.

Russlanddeutsche heute – Identität und Integration
I. Potsdamer Forum 2003 zur Geschichte der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn