Eine Ausstellung begegnet der heute in Polen gelegenen historischen Landschaft der Neumark
Jan Kixmüller

Potsdamer Neueste Nachrichten • 16.02.2006

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Manch einer spricht sogar von Pompeji. Wer heute im polnischen Kostrzyn, dem ehemaligen Küstrin an der Oder, nach der Altstadt, den Festungsanlagen und dem Stadtschloss sucht, der findet nur noch Grundmauern. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die Sowjetarmee die ehemalige preußische Garnisonstadt in Schutt und Asche gelegt. Hier hatte einst Friedrich der Große in Festungshaft mit ansehen müssen, wie sein Freund Katte hingerichtet wurde. Heute ist das ehemalige Küstrin eine Ausgrabungsstätte, deren Verwerfungen bis in die jüngste Vergangenheit hinein reichen. So weiß der Potsdamer Historiker Paweł Rutkowski etwa von einer alten deutschen Frau zu berichten, die immer wieder in das Ruinenfeld kommt und sich auf eine der übrig geblieben Treppen setzt. »Sie spricht mit niemanden«, erzählt Rutkowski. Ein Bild dafür, wie greifbar die Geschichte in dem Gebiet östlich der Oder heute noch ist. Der Historiker hat die Begegnungen mit der historischen Landschaft für das Haus der Brandenburgisch Preußischen und das Deutsche Kulturforum östliches Europa zu einer Ausstellung verwoben (Fotos: Mathias Marx). Städte, Klöster, Kirchen, Schlösser und Herrenhäuser in dem Landstrich um das heutige Gorzow (Landsberg/Warthe) herum hat er kulturhistorisch beleuchtet.

Zu erleben ist das Abbild einer Region, die fern vom heutigen Brandenburg zu liegen scheint. Und doch nur eine gute Stunde Autofahrt entfernt ist. Wenn Rutkowski in seinem kleinen Büro in dem Plattenbau an der Potsdamer Schlossstraße über die Neumark spricht, ist er kaum zu stoppen vor Begeisterung. Und irgendwie passt der Ort des Gesprächs auch zum Thema. Denn auf den Kontrast zwischen grauen Plattenbauten aus der Zeit des Sozialismus und den Überbleibseln preußischer Vergangenheit, wie man ihn von Potsdams alter Mitte kennt, stößt man auch in der Neumark immer wieder.

In vorchristlicher Zeit siedelten die Burgunden in der Region, die später im heutigen Burgund angesiedelt wurden. Dann kamen die Slawen, die Polen. Die Templer waren in der Neumark, die Zisterzienser und die Johanniter. In Brandenburg wurde der Landstrich noch »Mark über Oder« genannt, 1535 dann die Namensnennung als selbstständiges Fürstentum »Neumark«, allerdings nur für 36 Jahre. Und immer lag die Region zwischen den Blöcken, im Dreißigjährigen Krieg, im Siebenjährigen Krieg und in den beiden Weltkriegen. Ein Land mit Wunden. Doch der aus dem polnischen Toruń stammende Historiker Rutkowski hat ein Fülle von historischen und architektonischen Schätzen gefunden. Etwa die Kapelle in Chwarszczany (Quartschen), hier wurden nach der Wende Fresken aus dem 14. Jahrhundert freigelegt, die heute von der Feuchtigkeit des Gemäuers aufgefressen werden. Oder die Kopie vom Potsdamer Schloss Sanssouci in Glisno (Gleißen) – inklusive Ruinenberg. Oder das Schloss in Lubno (Liebenow). Hier war Gerd von Bassewitz aufgewachsen, der spätere Autor von Peterchens Mondfahrt. Das Schloss, heute nur noch eine Ruine, war einst ein neugotisches Märchenschloss auf einem Hügel. Später war hier ein gewisser Erich von dem Bach-Zelewski Gutsverwalter, der als SS-General für die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes verantwortlich war. »Eine der nationalen Tragödien Polens«, merkt Rutkowski an. In der Neumark gerinnt ähnlich wie in Schlesien und Pommern so etwas wie ein deutsch-polnisches Schicksal. Die Ausstellung ist in zwei Sprachen angelegt, nach Potsdam wird sie im polnischen Gorzów gezeigt. Den Historiker Rutkowski fasziniert an der Neumark, dass sie noch »jungfräuliches Terrain« ist. Und er gerät wieder ins Schwärmen. Etwa von den Dorfkirchen aus dem 13. Jahrhundert, von denen bis heute ein Rätsel ist, wie sie einst aus riesigen Granitquadern errichtet werden konnten.


Vom 17. Februar bis 9. April im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9.