Oskar Ansull gibt ein abwechslungsreiches und spannend montiertes Lesebuch über den Schriftsteller und Publizisten Karl Emil Franzos heraus
Matthias Gabriel

Märkische Allgemeine Zeitung • 19.01.2005

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Märkischen Allgemeinen Zeitung

»Es dürfte aber fast ein Stückchen deutscher Ehrenpflicht sein, diesen Mann nicht in Vergessenheit geraten zu lassen«, schrieb Victor Klemperer 1908 im Berliner Lokal Anzeiger über den »Dichter Halbasiens«, Karl Emil Franzos. Auch wenn »seine zahlreichen minder geglückten oder ganz mißratenen Werke im Dunkel gelassen werden« sollten, für die besten Schöpfungen empfahl Klemperer »die weiteste Verbreitung«.

Im Monat des 101. Todestages von Franzos kommt Oskar Ansull mit Unterstützung des in Potsdam beheimateten Deutschen Kulturforums östliches Europa dieser Ehrenpflicht nach. Der Band, der heute der Öffentlichkeit präsentiert wird, gibt auf 333 Seiten einen Einblick in Leben und Wirken des im Revolutionsjahr 1848 geborenen Karl Emil Franzos. Der Herausgeber und Schriftsteller Oskar Ansull, der sich schon seit längerem mit Franzos beschäftigt, griff in der Titelwahl auf den Begriff »Zweigeist« zurück. So benannte Walter Benjamin jene jüdischen Intellektuellen, die zugleich Juden und Deutsche sein wollten.

Der Lebensweg des Zweigeistes Franzos beginnt auf russischem Boden, führt ihn über den Ort seiner Kindheit, das galizischen Städtchen Czortkow, nach Czernowitz in der Bukowina, wo er in seiner Jugend das Deutsch- und Judentum zu einer Einheit zu verschmelzen versucht. Bei der Lektüre des sorgfältig und ideenreich zusammengestellten Buches begegnet der Leser allenthalben diesem gespannten Verhältnis zwischen jüdischem Glaubensbekenntnis und deutscher Nationalzugehörigkeit. Später studiert Franzos in Graz und Wien und besucht ausführlich das südöstliche Europa. In Wien lebt er als Publizist, Dichter und Herausgeber mehr schlecht als recht. Mit 39 Jahren geht er nach Berlin, wo er schließlich herzkrank und von Asthmaanfällen geschüttelt im Jahre 1904 stirbt.

Gerühmt wird er unter anderem für die Beschreibungen seiner galizischen Heimat, die in seinen Augen nicht mehr ganz Europa und schon halb Asien war. Franzos brachte den Lesern diesen damals wie teilweise auch heute noch unbeleuchteten Flecken mit seinen Erzählungen und Kulturbildern näher. Er fand und prägte das geflügelte Wort »Halb-Asien«, Titel einer mehrbändigen Studie.

Um die kaum zu überblickenden Arbeiten, die sich allein an Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften auf mehr als 500 Titel summieren, zu präsentieren, wählt Oskar Ansull die Form der Montage. In drei größeren Kapiteln gelingt es ihm, einen weitgefassten Einblick zu geben. Im Kapitel Lebenssplitter wird Franzos' Biographie aus verschiedenen autobiographischen Quellen montiert. Unter Stichworte sind zahlreiche aus Werken, Briefen und Aufsätzen entnommene Zitate des Schriftstellers gesammelt. Schließlich kommen in einem weiteren Abschnitt verschiedene Stimmen zu Wort, die etwas über Franzos zu sagen wissen. Aufsätze von Victor Klemperer und Fritz Mauthner runden den Sammelband ab.

Dem Buch liegt eine Hörspiel-CD bei – als Abschluss dieser unkonventionellen Reise durch das Leben eines fast vergessenen Dichters.


Oskar Ansull (Hrsg.): Zweigeist. Karl Emil Franzos. Ein Lesebuch. Deutsches Kulturforum, Potsdam 2005, 14,80 Euro.

Buchpremiere und szenische Lesung mit Oskar Ansull heute, 20 Uhr, Grüner Salon. Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte.