Bei einer Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa wurde versucht, sie auszuloten
Renata Schumann
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»Die Debatte geriet geriet schnell in den Bereich der aktuellen Spannungen im deutsch-polnischen Verhältnis.« – Podiumsdiskussion Gemeinsames Kulturerbe im östliches Europa als Chance

Kulturpolitische Korrespondenz Nr. 1192 • 30.09.2004

Das geistige Erbe der ehemaligen deutschen Gebiete befindet sich allem Anschein nach in guten Händen. Den Beweis dafür erbrachte das Symposion unter dem Titel »Gemeinsames Kulturerbe als Chance. Die Deutschen und ihre Nachbarn im östlichen Europa«, zu dem das Deutsche Kulturforum östliches Europa mit Sitz in Potsdam [im Namen der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien] nach Berlin in das stilvolle Ambiente des Kronprinzenpalais unter den Linden eingeladen hatte.

Insgesamt dreizehn von der Regierung geförderte Kulturinstitutionen, die sich mit der Pflege des deutschen Kulturerbes im Osten Europas befassen, präsentierten mit großem organisatorischen Aufwand ihre Arbeit. Es waren vor allem Publikationen, in die man an den einzelnen Ständen Einsicht nehmen konnte, viele von ihnen in deutscher und polnischer Sprache. Man vernahm von seiten der Ausstellenden allerdings Bedauern, dass diese aufwendige Schau nur für einen Nachmittag und einem geschlossenen Publikum gezeigt wurde.

In der Tat schade, denn das Historische Museum nebenan ist zur Zeit noch geschlossen, und gerade hier Unter den Linden ziehen unzählige Touristengruppen vorbei.

Der Nachmittag dieses 20. Septembers war prall gefüllt mit interessanten Vorträgen und wurde von einer lebendigen Diskussion abgerundet. Dr. Hanna Nogossek, die Direktorin des Potsdamer Instituts, begrüßte die zahlreichen Gäste. Einleitend sprach Staatsministerin Christina Weiss.

Herausragend der Vortrag zum Thema »Von der nationalen Ostforschung zur integrierenden Ostmitteleuropaforschung« von Professor Dr. Karl Schlögel von der Viadrina-Universität Frankfurt an der Oder, dem im November der Georg Dehio-Buchpreis des Kulturforums verliehen wird. Schlögel sprach mit seltener Ausgewogenheit über das Sowohl-Als-auch der verschiedenen Aspekte des Forschungsgegenstandes, der einen lebendigen und bewegten Komplex darstellt, und wies einfühlsam auf die vielseitigen Tiefen und Untiefen der nationalen Befindlichkeiten hin.

Dass das deutsch-polnische Verhältnis noch immer ein Minenfeld der besonderen Art darstellt, ging aus dem Vortrag von Professor Dr. Anna Wolff-Powęska vom polnischen Westinstitut in Posen hervor. Prof. Dr. Mathias Weber stellte eine Bestandsaufnahme der Bemühungen um die Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa vor.

Die Podiumsdiskussion leitete Thomas Roth vom ARD-Hauptstadtstudio. Die Debatte geriet sehr schnell in den Bereich der aktuellen Spannungen im deutsch-polnischen Verhältnis. Die spaltenden Differenzen wurden schmerzlich deutlich. Verlierer der neuesten Entwicklungen seien besonders die, so war von seiten der Olmützer Professorin Ingeborg Fiala-Fürst zu vernehmen, die sich bisher mit großer Mühe um den Aufbau der Verständigung bemüht haben.

Dazu wäre zu bemerken, dass es seit langem Stimmen gibt, die davor warnen, rote Teppiche über Abgründe zu werfen und sie zu begehbaren Brücken zu erklären. Die Brüchigkeit der bisherigen Vorstellungen voneinander, die auf deutscher Seite vom Diktat der political correctness und von der anderen durch die Propaganda des totalitären Regimes geprägt waren, kommt nun zum Vorschein. Dr. Andreas Lawaty wies darauf hin, dass die richtigen Ansätze oft vertan worden sind; so ist die Aufarbeitung der Vertreibung auf polnischer Seite in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden.

Neue Brücken, die auf historischen Realitäten ruhen, sind nunmehr gefragt. Denn dass der Prozess der Annäherung gefördert werden muß, war allen Anwesenden klar. Einen gangbaren Weg scheint das Land Baden-Württemberg gefunden zu haben, über dessen Aktivitäten im Bereich der Gedächtnispflege der zuständige Minister Heribert Rech sprach.

Ministerialdirektor Knut Nevermann vom BKM trat gegen den Entwurf eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin ein.

Danach wurde in den Diskussionsbeiträgen aus dem Auditorium die starke Betroffenheit über die Reparationsforderungen des polnischen Sejms thematisiert, die, wenngleich bar rechtlicher Grundlagen chancenlos, ein Spiegelbild der polnischen Meinung seien.

Ebenso wurde festgestellt, dass durch die unglückliche Verknüpfung der Forderungen der Preußischen Treuhand mit den Diskussionen um ein Zentrum gegen Vertreibungen viel Schaden entstanden ist. Die Unterstützung der Forderung einer zentralen Gedenkstätte in Berlin, wo an den ungeheuren Verlust erinnert und Flucht und Vertreibung in ihrem historischen Kontext und der kausale Zusammenhang zwischen Krieg und seinen Folgen gezeigt würden, wurde aus dem Auditorium vorgebracht. Dies sei für ein europäisches Selbstbewußtsein der Deutschen eine psychologische Notwendigkeit. Den östlichen Nachbarn sollte die Angst vor einer Destabilisierung ihrer aktuellen Lebenssituation genommen, doch gleichzeitig die Annahme der historischen Realitäten in ihrer ganzen Tragik zugemutet werden, war zu vernehmen.

Das Symposion gab den Teilnehmern Anlass zur Hoffnung. Man sah sich am Anfang eines neuen Weges, der geprägt ist von historischer Wahrhaftigkeit und dem Willen, ein gemeinsames Europa zu gestalten.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Kulturpolitischen Korrespondenz.