Deutsche Sprachspuren im östlichen Europa
Wolf Oschlies
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Der Herbst steht vor der Tür, die großen Bierfeste locken. Allen voran natürlich das Münchner Oktoberfest – das in aller Welt freudig nachgeahmt wird. So auch im kroatischen Karlovac, wo Anfang September zum 20. Mal die »Tage des Biers« abliefen. Wer zu Kroatien nur Wein assoziiert, mag ja recht haben, aber in Karlovac, im kroatischen Nordwesten, weiß man auch ein gutes Bier zu brauen und zu schätzen und es der durstigen Mitwelt im Rahmen eines touristischen Festivals zu kredenzen. Dass die Karlovacer kräftig von München abgekupfert haben, geben sie unumwunden zu. Und sie laden Politiker zum Mitfeiern ein, die dann auch alle, alle anreisen – ihren Aufenthalt bei den »Biertagen« als Arbeitstreffen oder ähnliches tarnend.

Berühmt sind die Kellnerinnen von Karlovac, alle gekleidet in ein folkloristisches Gewand, das in der Landessprache Dindrlica heißt. Wem das Wort nichts sagt, muß die konobarice (Kellnerinnen) nur in Aktion erleben, um sofort zu erkennen: Eine kroatische dindrlica ist natürlich das deutsche Drindl. Genauer gesagt: das süddeutsche Dirndl, verkürzt von ursprünglich Dirndlgwand oder hochdeutsch Mädchenkleid. Vor etwa 130 Jahren wurde es von begeisterten Touristinnen als reizvolle Volkstracht entdeckt – stramm sitzendes Oberteil mit tiefem Ausschnitt, enge Taille und wallender Rock – und umgehend in die große Modewelt eingeschleppt. Vor 20 Jahren kam es im kroatischen Karlovac an und seither gehört es zu den lokalen »Biertagen«.

Die Sprache der Kroaten ist voller Germanismen, die meist schon sehr alt sind – etwa die purgeri (Bürger), wie sich Alteingesessene der kroatischen Hauptstadt Zagreb seit Jahrhunderten nennen. Dass sich die Konsonantenfolge der kroatischen dindrlica etwas von der des deutschen Dirndls unterscheidet, ist völlig normal: Liquidametathese nennen es die Sprachwissenschaftler und meinen mit diesem schweren Wort nur den in allen slavischen Sprachen üblichen Umstand, dass gewisse Laute, bevorzugt r und l, ihre Plätze tauschen. So etwas geht in beiden Richtungen, wenn z.B. die Elbe bei Deutschen nichts anderes als die metathetisch verwirbelte slavische Labe ist (die »Schwanenfluß« bedeutet). Oder wenn aus dem deutschen Dirndl eine kroatische dindrlica wird, die die Konsonanten nicht nur einer Rochade unterzieht, sondern sie zudem klangvoll in drei Vokale einbettet. So etwas schmückt ungemein.