Dreiteilige Veranstaltungsreihe des Kulturforums im Oktober/November 2011 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte über Vertriebene und Flüchtlinge in der DDR
Tanja Krombach
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Michael Schwartz vor dem Filmplakat eines DEFA-Streifens von 1949, in dem die anfängliche Ablehnung der Vertriebenen durch die Einheimischen thematisiert wurde.
Beim Vortrag von Michael Schwartz auch zu Gast: Hans-Otto Bräutigam nebst Gattin. Bräutigam war Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR und bis 1999 brandenburgischer Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten
Carola Hähnel-Mesnard beschreibt die früheren Fassungen des Stücks die umsiedlerin von Heiner Müller, in denen in den Dialogen noch Bemerkungen über das Elend und die schlechte Aufnahme der Flüchtlinge enthalten waren.
Ira Spieker bei ihrem Vortrag über das Neubauernprogramm, durch das u. a. die ehemaligen »Umsiedler« Kredite erhielten, um Wohnhäuser, Ställe und Scheunen errichten zu können.
Alexander von Plato präsentiert eine zeitgenössische Broschüre über die nach Stalins Tod nach ihm benannte sozialistische Planstadt, das spätere Eisenhüttenstadt, in dem ein Drittel der Bewohner ehemalige Heimatvertriebene aus dem östlichen Europa waren.
Szenen aus der Zeitzeugendokumentation umsiedler ’45 von Thomas Grimm
Frank Herold (Mitte) von der berliner zeitung im Gespräch mit den beiden Zeitzeugen Günter Gutzmann und Ruth Müller

Trauma, Repression, Integration: Vertriebene in der DDR

Ein Vortrag von Prof. Dr. Michael Schwartz

Obwohl die Deutschen aus dem östlichen Europa, die in die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR gekommen waren, nicht öffentlich ihrer Heimat gedenken sollten, war das Thema in Politik, Literatur und Privatleben immer wieder sichtbar. Wolfgang Schwartz zitierte in seinem Überblicksvortrag am 20. Oktober 2011 den systemkonformen Schriftsteller Johannes R. Becher, der noch 1948 nicht von Wrocław, sondern von Breslau sprechen und die Oder-Neiße-Grenze nicht akzeptieren wollte. Auf der anderen Seite hielt die SED-Führung das »Umsiedlerproblem«, also die Versorgung und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Osten für rasch lösbar. Bis 1949 existierte eine Umsiedler-Sonderverwaltung und 1950 wurde ein Umsiedlergesetz zur Verbesserung ihrer sozialen Lage erlassen, das aber nur bis 1953 Gültigkeit hatte. Danach wurde das Thema als abgeschlossen erachtet, eine öffentliche Erinnerung an die nun zu den sozialistischen Bruderstaaten gehörenden Gebiete als ehemals deutsch besiedelt war nicht erwünscht. Die Vertriebenen wurden des Revanchismus verdächtigt und als »fünfte Kolonne« des »imperialistischen Westens« betrachtet. Viele von ihnen wurden von der Staatssicherheit überwacht und verfolgt.

Michael Schwartz zeigte, dass das Thema im Film und der Literatur nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Rolle spielte. Beispiele sind die Fernsehmehrteiler wege übers land von 1968, vom Kulturforum als erste Veranstaltung im Rahmen der Reihe am 15. September 2011 im Filmmuseum mit Ursula Karusseit präsentiert, und daniel druskat von 1976. Auch das 1961 entstandene Stück die umsiedlerin von Heiner Müller und der 1974 veröffentlichte Roman kindheitsmuster von Christa Wolf verarbeiten Flucht und Heimatverlust.

Im Anschluss an den Vortrag diskutierte das Publikum noch fast zwei Stunden mit Michael Schwartz. Dabei wurde die Vielschichtigkeit der Erfahrungen deutlich, von Darstellungen problemloser Aufnahme und Integration der Vertriebenen in der DDR über deren Verfolgung bis zu Stimmen von ihren Kindern, die heute traurig darüber sind, dass sie von ihren Eltern so lange nichts über das Thema hören wollten oder konnten.

Aus dem Gästebuch:

»Ich danke für eine außerordentlich bewegende und tiefschürfende Veranstaltung.«

»Danke für die benannten Dinge, die mich lange, so lange wie das Schweigen meiner umgesiedelten Eltern beschäftigen.«

»Vielen Dank für die äußerst anregende Veranstaltung, besonders natürlich Prof. Schwartz für seinen kenntnisreichen Vortrag (und die instruktive Bebilderung) und seine sachliche und konzise, aber auch von Empathie getragene Haltung während der Diskussion. Und besonders herzlichen Dank dafür, dass er immer wieder seinen Blick als Historiker auch zur Literatur, zur Lyrik und zu Romanen öffnet, die ja oft gerade kondensiertes Erlebtes und kollektives Erfahrenes transportieren.«

»Geh zurück nach Polen, Flüchtling, und geh barfuß«

Spuren von Flucht und Vertreibung in der frühen DDR-Literatur
Ein Vortrag von Dr. Carola Hähnel-Mesnard

Carola Hähnel-Mesnard zeigte am 27. Oktober 2011 in ihrem Vortrag zur Verarbeitung des Themas in der frühen DDR-Literatur, dass die früheren Fassungen des von Michael Schwartz erwähnten Stücks von Heiner Müller das Schicksal der »Umsiedler« noch deutlicher machten, während sich der Akzent in der neueren Fassung stärker auf die Bodenreform und die Kollektivierung verschob. Die 1953 veröffentlichte gleichnamige Novelle die umsiedlerin von Anna Seghers nahm im Gesellschaftskonflikt mit den Alteingesessenen sogar zugunsten der Vertriebenen Partei. Auch in der Unterhaltungsliteratur wurde das Thema gestaltet. Ein Bestseller war der 1949 publizierte Roman treibgut von Annemarie Reinhard, in dem sie das Schicksal zweier Flüchtlingskinder verarbeitet. Dieser Roman wurde auch an den Schulen gelesen, als Anregung für die Kinder, Aufsätze zu ihren eigenen Kriegserlebnissen zu verfassen.

Aus dem Gästebuch:

»Informativ war es für mich als Westdeutsche. Ein sehr interessanter Vortrag.«

»Wichtiges Thema. Mehr Einordnung in den politischen Kontext wäre schön gewesen.«

Vertriebene als »Arbeiter und Bauern«

Themenabend mit Vorträgen, Film und Podiumsgespräch

Den Abschluss der Reihe bildete ein Zeitzeugen-Themenabend am 5. November 2011. Er sollte beleuchten, welche Erfahrungen die Vertriebenen und Flüchtlinge als Arbeiter und Bauern im »Arbeiter- und Bauernstaat« machten.

Zunächst hielt Ira Spieker vom Institut für sächsische Geschichte und Volkskunde einen Vortrag über das Neubauernprogramm der DDR, von dem besonders die »Umsiedler« profitieren sollten. Dabei wurden sie aber insofern benachteiligt, als dass bei der Bodenverteilung auch alte Kontakte berücksichtigt wurden, was ihnen als Zugezogenen nicht zugute kam. Andererseits brachten die Deutschen aus dem östlichen Europa in ihrer neuen Heimat unbekannte Agrartechniken mit, die die Erträge steigerten. Ira Spieker führt zur Zeit ein Projekt »Fremde – Heimat – Sachsen: Vertriebene als Neubauern« durch, zu dem sie zahlreiche Zeitzeugen befragt, darunter Ruth Müller, die später auf dem Podium eindrucksvoll von ihrer Flucht und Vertreibung berichtete.

Der Historiker und Oral-History-Forscher Alexander von Plato, der ab 1987 Zeitzeugen-Befragungen in Eisenhüttenstadt durchgeführt hatte und dabei zahlreiche Flüchtlingsbiografien hörte, erläuterte die besondere Bedeutung des Orts als Neusiedlung von Vertriebenen und Flüchtlingen. Diese stellten etwa ein Drittel der Arbeitspioniere beim Aufbau des Eisenhüttenkombinat Ost und der Planstadt. Die Wohn- und Arbeitsbedingungen waren vergleichsweise gut und so waren sie sozial oft besser gestellt als ihre Schicksalsgenossen in anderen Teilen der DDR.



Der Zusammenschnitt zweier Dokumentarfilme von Thomas Grimm versetzte das Publikum in Erstaunen. Zeigte doch der 1985 entstandene Film umsiedler ’45 schlesische Flüchtlinge, die in aller Offenheit von ihren Erlebnissen und ihrer Aufnahme in Thüringen berichteten. Obwohl von offizieller Seite in Auftrag gegeben, durfte der Film jedoch mit dem Hinweis der SED-Führung auf den falschen Eindruck, den er von der vermeintlich erfolgreichen Umsiedlerpolitik der DDR erwecke, nicht öffentlich gezeigt werden. Thomas Grimm verwendete das Material in seinem 1992 entstandenen Film schaut euch noch mal um, der einige der ehemaligen schlesischen Heimatvertriebenen bei der Reise in ihre alte Heimat begleitete. Viele Zuschauer waren überrascht, als sie darin hörten, dass die aus dem Dorf Schönau bei Glogau stammenden Menschen über Jahrzehnte in der DDR Heimattreffen abhielten, was in aller Stille eben auch möglich war.

Im anschließenden Zeitzeugengespräch berichtete Ruth Müller, deren Vater in der DDR in den Genuss des Neubauernprogramms gekommen war, eindrucksvoll von ihren Kriegserlebnissen. Zunächst vor der Front auf einem Flüchtlingstreck aus ihrer schlesischen Heimat ausgesiedelt, kehrte sie mit ihrer Familie wegen ihres kranken Vaters zurück und musste dann die wilde Vertreibung mit Gewehrkolben, sofortigem Aufbruch und tagelangen Märschen auf bloßen Füßen ertragen. Günter Gutzmann aus Eisenhüttenstadt repräsentierte auf dem Podium einen „echten Umsiedler“. Seine Familie wurde auf Betreiben des aus der Kriegsgefangenschaft in die DDR gekommenen Vaters aus dem hinterpommerschen Dorf mit diesem 1952 zusammengeführt. Sein Vater war dann beim Eisenhüttenkombinat Ost beschäftigt. Bei Ruth Müller und ihrer ebenfalls anwesend Schwester wurde die Bedeutung des Alters, in dem sie in die neue Heimat gekommen waren, anhand der Sprache deutlich: Während Ruth Müller einen deutlichen schlesischen Anklang hatte und auch erzählte, dass Schlesisch eine Art Geheimsprache bei ihnen zu Hause gewesen sei, sprach ihre jüngere Schwester ein lupenreines Sächsisch.

Aus dem Gästebuch:

»Die Veranstaltungen bezüglich der tieftraurigen Zeit der Jahre 1945 bis in die Mitte der geteilten Teile Deutschlands sind bleibend und des Dankes wert. Ich bin am 21. Januar 1945 als Schulkind mit den letzten Deutschen aus Ostpreußen vor den Russen geflohen und habe großes Glück gehabt.«

»Ich begrüße, dass ›unser‹ Kulturforum auch dieses Thema – obwohl ein Randthema – aufgreift – hochwertig und solide wie immer.«

»Vielen Dank für die interessante ganze Reihe. Neu für mich war heute das Thema Eisenhüttenstadt.«

»Eine schöne Kombination von Information und Unterhaltung. Film und Zeitzeugen bereichern sehr.«

alle Fotos auf dieser Seite: © 2011 Deutsches Kulturforum östliches Europa • A. Werner

Links

Erinnern unerwünscht. Vertriebene in der DDR
Veranstaltungsreihe mit Filmen, Vorträgen und Podiumsgesprächen