Zwei Podiumsdiskussionen des Kulturforums beschäftigten sich mit den deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa und mit der Sicht der Mehrheitsbevölkerung in Polen und Tschechien auf das deutsche Kulturerbe
Die Bundeszentrale für politische Bildung, die Kulturstiftung des Bundes, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und viele weitere namhafte Institutionen waren Organisatoren der Berliner Großveranstaltung »Geschichtsforum 1989 | 2009: Europa zwischen Teilung und Aufbruch«. Über die Pfingsttage fanden an der Humboldt-Universität, im Collegium Hungaricum, am Maxim-Gorki-Theater und im Deutschen Historischen Museum zahlreiche Podiumsdiskussionen, Workshops, theatrale Inszenierungen, Darbietungen von Filmreihen und Musik statt. Im Innenhof der Humboldt-Universität gab es einen Projektmarkt mit Ausstellungsständen der Organisatoren und beteiligten Institutionen, bei dem auch das Deutsche Kulturforum östliches Europa mit seinen Publikationen sowie Informationen zu seinen Veranstaltungen vertreten war.
Des Weiteren beteiligte sich das Kulturforum mit zwei sich ergänzenden Panels an den zahlreichen Podiumsdiskussionen: In Zusammenarbeit mit der Akademie Mitteleuropa, Bad Kissingen, waren am Samstag abend vier Vertreter deutscher Minderheiten im östlichen Europa geladen, zum Thema »Die politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Präsenz der deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa – Chancen und Perspektiven« zu berichten. Martin Bottesch, Landrat von Hermannstadt/Sibiu, zeigte die Aktivitäten der deutschen Minderheit in Rumänien auf, Kristina Kaiserová, Historikerin aus Aussig/Ustí nad Labem, sprach als Tschechin zwar nicht im Namen der deutschen Minderheit in Tschechien, ist aber eine hervorragende Kennerin ihrer Geschichte und Gegenwart. Johann Schuth, Journalist aus Budapest, stellte in einem kurzen Abriss die Belange der deutschen Minderheit in Ungarn vor, und Barbara Walus vom Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, Gleiwitz/Gliwice, sprach für die deutsche Minderheit in Polen; die Moderation übernahm Gustav Binder von der Akademie Mitteleuropa, Bad Kissingen
Die zweite Veranstaltung am Morgen darauf folgte dann die Sicht der Mehrheitsbevölkerung in Polen und Tschechien auf das deutsche Kulturerbe in ihren Ländern unter dem Motto Deutsche Geschichte als subversives Thema? Regionale Initiativen in Polen und Tschechien vor und nach 1989.« Diesmal berichtete Frau Kaiserová in ihrer Eigenschaft als tschechische Historikerin, dass es vor 1989 insofern tatsächlich subversiv war, sich mit dem deutschen Erbe zu befassen, als es in kommunistischer Zeit leichter war, über das Mittelalter zu forschen als über den deutschen Anteil an der eigenen Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Bis 1949 war das Thema deutsche Geschichte in der Tschechoslowakei natürlich ein völliges Tabu-Thema, doch ab den 60er Jahren lockerte sich die Situation ein wenig. Als Beispiel dafür nannte die Historikerin Alena Míšková die legendäre, international besetzte Kafka-Konferenz in Prag 1963, die einen entscheidenden Umschwung in der öffentlichen Anerkennung Kafkas einleitete. In den 70er Jahren folgte dann die erste Grundsatzpublikation in tschechischer Sprache zum Thema »Deutsche und Tschechen in der Geschichte«, und in den 80er Jahren war das deutsche Thema hauptsächlich eines für Dissidenten und Exilanten. Mit einer aufschlussreichen Anekdote zeigte Frau Míšková auf, wie es dann nach der Wende mit diesem Wissen bestellt war: Eine Studentin aus Liberec/Reichenberg hatte sich 1993 um die Aufnahme an dem von Frau Míšková geleiteten Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien in Prag beworben, sprach sehr gut deutsch, und, um tiefer ins Gespräch zu kommen, fragte Frau Míšková nach dem früheren Namen der Geburtstadt der Studentin – eine Frage, die diese nicht beantworten konnte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Verteufelung der deutschen Geschichte auf polnischem Boden das einzige, was die kommunistische Regierung Polens mit der Bevölkerung verband und womit sie beim Volk punkten konnte, so der Thorner Germanist Leszek Żyliński – den ersten Kommunisten habe er nicht in Polen, sondern bei einem Besuch in West-Berlin gesehen. Im öffentlichen Diskurs herrschte in Polen bis zu den 80er Jahren die Meinung vor, die deutsche Teilung sei wünschenswert, nur so könne Deutschland in Schach gehalten werden und sei Polen sicher. Ab den 80er Jahren wandelte sich diese Überzeugung bei den Dissidenten und Intellektuellen: Sie waren nun überzeugt, Polen werde nur frei sein, wenn eine deutsche Einheit zustande kommt. Selbst für den Samizdat und die intellektuellen Kreise war diese Meinungsänderung ein Skandal.
Die Mitteleuropa-Debatte hingegen, führte Żyliński weiter aus, die Anfang der 80er Jahre von Milan Kundera angestoßen wurde, war eher nostalgisch-habsburgisch-kulturell geprägt – Polen hatte als theoretisches Konzept nichts dagegen einzuwenden, war aber in pragmatisch politischer Hinsicht ganz auf die Zugehörigkeit zum Westen ausgerichtet; Mitteleuropa stellte keine politische Alternative für Polen dar. Heute, nach so vielen Jahren nach der Wende und nach der Aufnahme Polens in die EU, sind die Polen selbstbewusster und sich der kulturellen Hinterlassenschaften in ihrem Land sicherer geworden, so dass sie jetzt ein deutsches Rathaus als das ihre rekonstruieren, pflegen, benutzen und annehmen; in den ersten zwanzig Jahre nach dem Krieg hatte die Wiederherstellung materiellen Guts der Deutschen hingegen immer etwas Kulissenhaftes. Die Polen haben den Übergang von Treuhändern der deutschen Hinterlassenschaften zu wahren Erben vollzogen und fühlen sich als solche verantwortlich für den geerbten Besitz. Die Polen können heute ganz selbstverständlich sagen: »Wir sind jetzt Preußen!« Man lebt nach dem Motto: Die Deutschen sind unvermeidbar, aber austauschbar – und das ist nicht abfällig gemeint, sondern steht für eine Normalisierung und Enthysterisierung der Beziehungen.
Kornelia Kurowska stellte die eigene Familiengeschichte erst einmal in den Vordergrund, und erinnerte daran, dass auch Polen seine Neusiedler unterbringen und integrieren musste: Ihre Familie kam aus Ostpolen, der sogenannten Kresy-Region, in die »wiedergewonnenen Gebiete«, also Ermland und Masuren; diese Umstellung war wichtiger als die Beschäftigung mit der deutschen Geschichte dieser Region, über die sie erst sehr spät erfuhr.
Kornelia Kurowska stellte die eigene Familiengeschichte erst einmal in den Vordergrund, und erinnerte daran, dass auch Polen seine Neusiedler unterbringen und integrieren musste: Ihre Familie kam aus Ostpolen, der sogenannten Kresy-Region, in die »wiedergewonnenen Gebiete«, also Ermland und Masuren; diese Umstellung war wichtiger als die Beschäftigung mit der deutschen Geschichte dieser Region, über die sie erst sehr spät erfuhr.
Nach der Wende fand eine starke mediale Instrumentalisierung der deutschen Geschichte in Polen und Tschechien statt; so konnte zum Beispiel das alljährlich zelebrierte sudetendeutsche Pfingsttreffen nur Stereotype bei den Tschechen evozieren. Aber die Arbeit mit der Bevölkerung vor Ort in den tschechischen Grenzgebieten lief gut, es gab eine Ausstellung zur Arbeit der deutschen Vereine in Böhmen und eine zur Intoleranz sowohl zwischen Tschechen und Deutschen als auch zwischen Tschechen und Juden; diese beiden Ausstellungen lösten, so Kaiserová, keinen Skandal und keine Proteste aus. Scherzhaft, vielleicht auch manchmal boshaft, wurden diejenigen Tschechen, die versuchten, die deutsche Geschichte dieser Regionen aufzuarbeiten, Sudetentschechen genannt.
Nach der Wende änderten sich auch die Darstellungen in den Geschichtsbüchern: Das jahrhundertelange Zusammenleben von Deutschen und Tschechen konnte ebenso thematisiert werden wie die deutsche Literatur in Böhmen, ein Regionalismus blühte auf – auch wenn vielleicht manche Lehrer trotz dieser Unterrichtsmaterialien immer noch sagen: »Ich habe es selbst erlebt, ich will darüber nicht sprechen.« Die gemeinsame Schulbuchkommission mit Tschechien gab es erst nach der Wende, die mit Polen schon seit den 60/70er Jahren. Die zweite Kontaktebene vor der Wende zwischen Polen und Deutschland war die Kirche; hier führte Żyliński den Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Kollegen von 1965 an mit dem berühmten Satz zu Krieg und Vertreibung: »Wir vergeben und bitten um Vergebung.«
Zu seinem Kummer stellte Żyliński fest, dass selbst heute, zwanzig Jahre nach der Wende, nur eine einzige Brücke Görlitz und Zgorzelec verbindet und sich somit zwischen zwischen Deutschland und Polen noch immer keine osmotisch durchlässige Grenzregion ergeben hat. Der Moderator, Klaus Harer vom Deutschen Kulturforum östliches Europa, schloss die Diskussion mit einer Fragerunde im Publikum ab, die auch nach Ende der Veranstaltung noch lebhaft weitergeführt wurde.
- Das Regionale als Alternative – 1989 als kulturelle Wende
Veranstaltungsreihe zur Re-Regionalisierung von Kulturlandschaften, die historische oder aktuelle Bezüge zu deutscher Geschichte und Kultur haben