Michael Wiecks Buch Zeugnis vom Untergang Königsbergs, die Erinnerungen des letzten überlebenden Königsberger »Sternträgers«, wurden am 9. Dezember an der Kaliningrader Universität in russischer Übersetzung präsentiert. Die Veranstaltung, an der neben dem Autor auch der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets, der Vertreter des russischen Präsidenten und der deutsche Generalkonsul teilnahmen, traf auf unerwartet große und positive Resonanz.
Seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend als »Geltungsjude« im nationalsozialistischen Königsberg und an die schwere Zeit nach 1945, als er im inzwischen russischen Kaliningrad gemeinsam mit der verbliebenen deutschen Bevölkerung den Repressalien der neuen Herren ausgesetzt war, hat Michael Wieck in seinem Buch Zeugnis vom Untergang Königsbergs. Ein "Geltungsjude" berichtet festgehalten. Das Buch hat seit 1988 bereits sieben Auflagen erlebt (eine achte wird derzeit im Verlag Beck vorbereitet), eine Übersetzung ins Englische erschien 2003 in den USA. Eine russische Ausgabe musste wegen der unmissverständlichen Schilderung der ersten Jahre des russischen Kaliningrad (1945–1948) bis vor Kurzem unmöglich erscheinen. Eine von dem Kaliningrader Universitätsangestellten Juri Wolkow erarbeitete russische Übersetzung wurde von verschiedenen Kommissionen begutachtet, wurde aber nicht in die bestehenden Förderprogramme für Übersetzungen von deutscher Königsberg/Kaliningrad-Literatur aufgenommen.
Schließlich nahm sich das Deutsche Kulturforum östliches Europa des russischen Manuskripts an und fand in dem kleinen St. Petersburger Verlag Hyperion einen engagierten Partner für das Buch in Russland, das im Frühjahr 2004 erschien. Im Juni 2004 wurde das Buch vom Deutschen Kulturforum in Anwesenheit des Autors im St. Petersburger Pen-Club der russischen Öffentlichkeit vorgestellt. Es folgte eine begeisterte Rezension der großen Literaturzeitschrift "Swesda" (Der Stern). Öffentliche Reaktionen aus Kaliningrad blieben aus. Trotz anfänglicher Widerstände seitens des führenden Kaliningrader Buchvertriebs fand es jedoch den Weg zu zahlreichen Lesern. Eine Buchvorstellung durch den Autor, wie sie das Deutsche Kulturforum verschiedenen Kultur- und Bildungseinrichtungen der Stadt vorschlug, war dagegen nicht erwünscht.
Das Deutsche Kulturforum entschloss sich daher, mit Michael Wieck als Solisten einen Violinabend in der Kaliningrader Philharmonie zu veranstalten. Die Überlegung war, dass, wenn auch das offizielle Kaliningrad dem Buch keine Beachtung schenken wollte, doch das wesentlich offenere Kulturpublikum der Stadt an einem Auftritt des Geigers und Autors interessiert sein dürfte.
Das Konzert am 8. Dezember 2004 im Konzertsaal der Kaliningrader Philharmonie war ein voller Erfolg. Vor großem Publikum zeigte der 76-jährige Wieck gemeinsam mit seiner bestens aufgelegten Begleiterin Christa Stolzenburg, dass er auch ein sehr anspruchsvolles Programm mit jugendlicher Frische auf höchstem Niveau bewältigt. Nach stürmischem Beifall wurde er von vielen Verehrern gebeten, die russische Ausgabe seines Buches zu signieren.
Wenige Tage vor dem Konzert hatte die Kaliningrader Universität signalisiert, dass sie nun sehr an einer Buchvorstellung der russischen Ausgabe durch den Autor, den Übersetzer und das Deutsche Kulturforum interessiert sei. In kürzester Zeit konnte so eine feierliche Präsentation für den 9. Dezember im Universitätssaal angesetzt werden, an der die höchsten politischen Funktionsträger des Kaliningrader Gebiets teilnahmen. Der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets, Wladimir Jegorow, sprach vor einem großen Auditorium davon, wie wichtig solche Bücher wie die eindrucksvollen Erinnerungen Wiecks seien, damit die Geschichte der Stadt endlich ohne Tabus bewusst werden könne. Auch Präsident Putins Vertreter im Kaliningrader Gebiet, Andrej Stepanow, würdigte die Bedeutung des Buches. Der deutsche Generalkonsul Cornelius Sommer war sichtlich befriedigt, dass hier das deutsch-russische Miteinander in Kaliningrad so unerwartet gut funktionierte – ein gutes Vorzeichen für die 2005 bevorstehenden 750-Jahrfeier der Stadt. Es folgten Lobreden von Kaliningrader Universitätsprofessoren, die Wiecks Zeugnis vom Untergang Königsbergs als erschütterndes Dokument der Zeitgeschichte und als bedeutendes literarisches Werk würdigten.
Michael Wieck und sein Übersetzer Juri Wolkow hätten diesen unerwarteten Erfolg des Buches in Kaliningrad, der nun auch seine offizielle Bestätigung erfuhr, noch einen Monat zuvor kaum für möglich gehalten.