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Ein ungewöhnlicher Anblick: Ein Schiff wird mit Seilen auf Schienen den Hang hochgezogen. © Adobestock/ travelpete

Über 175 Jahre ist es her, dass unter der Leitung des Ingenieurs Georg Jakob Steenke mit dem Bau des Oberländischen Kanals begonnen wurde, der die Eylauer Seenplatte mit dem Drausensee und der Ostsee verbindet. Er sorgte für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Region zwischen Osterode/Ostróda und Elbing/Elbląg. Heute fahren auf dem Kanal nur Ausflugsschiffe. Mit dem – trotz Protesten von Ökologen – von der Warschauer PiS-Regierung begonnenen Durchstich der Frischen Nehrung bei Elbing soll die Region frische Impulse bekommen.

Blicken wir zurück in die Zeit am Anfang des 19.Jahrhunderts: Zwischen den oberländischen Seen und Elbing liegt die Grenze der beiden Provinzen Ost- und Westpreußen. Es ist ein agrarisch geprägtes Gebiet, das vor allem Lebensmittel und Holz liefert. In dieser zerklüfteten Endmoränenlandschaft fehlt jedoch ein direkter Wasserweg zur Küste, wie im Ermland die Alle, die Richtung Königsberg fließt. Feste, noch dazu für schwere Transporte geeignete Straßen gibt es kaum, die aufkommende Eisenbahn findet erst deutlich später ihren Weg in diesen südlichen Teil Ostpreußens. Es bleibt nur der Weg über das Wasser, und das bedeutet ein sechs- bis achtmonatiges Flößen über die Drewenz und die Weichsel zur Ostsee – und das für Holz, das zehn Meilen südlich von Elbing gefällt wird. So war die Situation, die Georg Jakob Steenke antraf, als er 1836 seine Arbeit als Inspektor der Deiche und Wälle der Weichselmarschen antrat.

»Der Kanal wird zu dem Zweck erbaut, die Oberländischen Seen der Provinz Preußen mit dem Drausensee und demnächst mit der Ostsee zu Was hochgezogen wird, muss auch wieder runter: Auch den Hang hinunter geht es für die Schiffe auf Schienen. © Adobestock/majonitverbinden, um durch diese Wasserstraße fruchtbaren, reich bewaldeten, jetzt aller Kommunikazionen entbehrenden Ländertheilen der zusammenstoßenden Regierungsbezirke Ost- und Westpreußen die Mittel zu verschaffen, ihre Produkte abzusetzen und auszutauschen, welche bisher entweder gar nicht oder nur in veränderter Gestalt und unvollkommen verwerthet werden konnten«, heißt es dann auch als Begründung für den Bau des Oberländischen Kanals in den Ephemeriden, der Beilage zur in Wien erscheinenden Allgemeinen Bauzeitung Nr.2 von Mai 1846.

Dass Kanäle zwischen einzelnen Seen des Oberlandes baulich möglich waren, beweist der im 14.Jahrhundert bei Saalfeld/Zalewo gebaute Weinsdorfer Kanal zwischen dem Ewingsee und dem Geserichsee. Die Eiszeit hat neben den vielen Endmoränen im Oberland eine Seenkette hinterlassen, die vom Pinnausee über den Samrodtsee, Röthloffsee, Bärtingsee und den Thardensee zum Schillingsee reicht und sich für den Bau einer künstlichen Wasserstraße anbietet.

Beim Röthloffsee zweigt eine weitere Seenkette zum Drewenzsee in Richtung Osterode ab. Dies nahm Georg Jakob Steenke mit seinem erfahrenen Auge sicher wahr und berücksichtigte die örtliche Geografie in seinem Entwurf des Kanals. Immerhin hatte er 1833 bereits den Seckenburger Kanal in der Niederung der Memel erbaut.

Ein Problem war der Ausgleich der Niveauunterschiede der einzelnen Seen. Bei den Gewässern zwischen Osterode, Liebemühl/Miłomłyn und Pinnau/Piniewo waren Absenkungen um anderthalb bis zwei, stellenweise sogar mehr als fünfeinhalb Meter notwendig, zudem musste der Abiskarsee mit einem Aquädukt überquert werden, um den Geserichsee zu erreichen. Die Wasserscheide bei Liebemühl wurde durch die Schleusen bei Liebemühl und Grünort/Lubień bewältigt. Schleusen waren auch notwendig, um den Wasserstand zwischen den Dämmen zu regulieren und das Risiko von Dammbrüchen zu minimieren.

Herausforderung Höhenunterschied

Das größte Hindernis aber war der Höhenunterschied zwischen dem Pinnausee und dem Drausensee bei Elbing. Der gesamte Oberländische Kanal von Die geneigten Ebenen im Oberländischen Kanal. © BlochplanElbing bis Deutsch Eylau/Iława hat eine Länge von 129,8Kilometern, und sein bekannter Abschnitt bis Osterode war 82Kilometer lang. Doch hier ist auf einer Strecke von lediglich 9,6Kilometern eine Differenz von 99,5Metern Höhenunterschied zu bewältigen. Nach dem Baubeginn mit dem ersten Spatenstich am 28.Oktober 1844 in Liebemühl wurden bis 1850 südlich des Drausensees im Fluss Kleppe fünf Kammerschleusen errichtet. Schon im Mai 1846 stand jedoch in den Ephemeriden, dass Steenke aufgrund der massiven Kosten der notwendigen Schleusen (zwischen zwanzig und vierzig Bauten) alternative hydrotechnische Lösungen suchte, um »von der Schwerkraft und der Anwendung der Kompensazion in der Art Gebrauch zu machen, daß auf einer zu errichtenden geneigten Ebene der beladen hinunter gehende Kahn zum Hinaufziehen des letztern dient«. Ein Schiffshebewerk musste her, das die Kähne im Trockenen den Höhenunterschied bewerkstelligen ließ. Auf seiner Suche nach einer Lösung fuhr Georg Jakob Steenke unter anderem 1850 in die USA. Seine endgültige Idee zu den »geneigten Ebenen« stammt vom Morriskanal in New Jersey. Bis zum Jahr 1860 waren die Hebewerke in Buchwalde/Buczyniec, Kan­then/Kąty, Schönfeld/Oleśnica und Hirschfeld/Jelenie fertiggestellt; der Oberländische Kanal konnte am 31.August 1860 offiziell eingeweiht werden. Zwischen 1874 und 1881 ließ Steenke noch die fünf Kammerschleusen in der Kleppe durch eine fünfte geneigte Ebene in Kussfeld/Całuny ersetzen. Wegen dieser damals innovativen Lösungen gilt das Kanalsystem als technisches Denkmal und steht heute unter Denkmalschutz.

Durch die Eröffnung des Oberländischen Kanals verkürzte sich die Transportzeit für Waren aus dem Oberland um Monate, landwirtschaftliche Erzeugnisse konnten schnell und rentabel geliefert werden. Täglich passierten, so die Notizen in Steenkes Tagebuch, zwölf bis zwanzig Schiffe den Kanal, in Spitzenzeiten fast sechzig. Dem Dank an Steenke für diesen Aufschwung gaben die Landwirte der Region mit einem Obelisken zu seinem 50.Dienstjubiläum Ausdruck. Er wurde am 15.Juli 1872 in Buchwalde enthüllt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs demontiert, steht er seit 1986 wieder dort.

Doch nicht nur die Landwirtschaft profitierte von diesem Wunderwerk der Technik. Bereits 1863 organisierte Steenke selbst aus Anlass der »24.Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe« einen landeskundlichen Ausflug zum Oberländischen Kanal. Und schon 1872 gab es Ausflugsfahrten von Osterode nach Grünort am Westufer des Drewenzsees. Während durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes der Gütertransport auf dem Oberländischen Kanal nachließ, nahm die Zahl der Passagiere Anfang des 20.Jahrhunderts und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg deutlich zu. Viele Reedereien nahmen Reisende bei Gütertransporten mit oder setzten zusätzliche Boote für sie ein. Die meisten der damaligen Ausflugsziele an den verschiedenen Abschnitten des Kanals sind heute auf Landkarten nicht mehr zu finden. Die geneigten Ebenen werden jedoch weiterhin angefahren, denn das Verladen von Booten auf Gitterwagen und ihr Transport über Schienen einen Hügel hinauf, wo der Wasserweg bereits zu Ende scheint, ist bis heute ein Erlebnis für Touristen.

Die Schiffe werden über sogenannte Rollberge über das Land gezogen. © Adobestock/alessandro

Chancen durch Investitionen heute fraglich

 1912 gründete Adolf Tetzlaff in Osterode eine Reederei und transportierte seitdem in den Sommermonaten Ausflügler auf den Oberländischen Seen und nach Elbing. Schon in den 1920er Jahren gab es einen Fahrplan, nach dem einzelne Strecken an bestimmten Wochentagen befahren wurden. Die Reederei bemühte sich außerdem bereits damals um eine Koordinierung von Schiffs- und Zugfahrten, um ein problemloses Umsteigen und weiteren Transport an Land zu ermöglichen. Ende 1944 wurden die Schiffe von Tetzlaff absichtlich versenkt, er selbst versuchte zu fliehen.

Nach der Bergung und Reparatur der Schiffe sowie der Wiederherstellung des Kanals wurde dieser am 28.September 1947 erneut eröffnet. Am 11.Juni 1948 wurde der Schiffsverkehr von Osterode nach Elbing wieder aufgenommen. Inzwischen war das von Tetzlaff wieder reaktivierte Unternehmen bereits entschädigungslos verstaatlicht worden. An den 1952 verstorbenen Gründer der Passagierschifffahrt in Osterode erinnern die Gräber von ihm und seiner Frau Hedwig auf dem Alten Friedhof der Stadt und seit dem 30.Juni 2012, dem hundertjährigen Jubiläum der »weißen Flotte«, eine Erinnerungstafel am Gebäude der Osterode-Elbinger Schifffahrtsgesellschaft, die diese Tradition fortsetzt.

Nach einer Generalüberholung der geneigten Ebenen und großer Teile des Kanals im Jahr 2015 ist er wieder auf der gesamten Länge befahrbar, doch seit der Verlagerung des Gütertransports auf die Straße wird er fast ausschließ­lich nur noch touristisch genutzt.

Ähnliches, wenn auch nicht im selben Maße, gilt für den Hafen in Elbing, den Endpunkt des Oberländischen Kanals. Mit einem umstrittenen Großprojekt der polnischen Regierung soll er nun unterstützt werden. Da der Schiffsverkehr von Elbing in Richtung Ostsee derzeit Pillau/Baltijsk und damit russisches Gewässer passieren muss, wird an einem Durchstich der Nehrung bei Kahlberg/Krynicy Morskiej gearbeitet.

Zudem soll von dort aus eine vertiefte Fahrrinne zum Hafen von Elbing führen und die Frische Nehrung auch für größere Schiffe fahrbar machen. Ob diese – ökologisch und ökonomisch höchst umstrittenen – Maßnahmen Erfolg haben, ist schwer abzusehen. Einen ähnlichen Aufschwung wie die für damalige Zeiten riesige Investition des Oberländischen Kanals werden sie der Region nicht verschaffen können. Die Rahmenbedingungen waren im 19. Jahrhundert gänzlich anders.

von Uwe Hahnkamp