»Alle Jahre wieder«, so heißt nicht nur eines der bekanntesten deutschen Weihnachtslieder mit einem Text von Wilhelm Hey, sondern auch das Motto, wenn es gegen das Ende des Jahres zugeht, Heiligabend und Weihnachten vor der Tür stehen. Ein Fest, das aus Dutzenden Ritualen besteht, die »alle Jahre wieder« kommen und sich in den verschiedenen Regionen im östlichen Europa unterscheiden. Die KK hat ein paar Beispiele gesammelt.
Markus Nowak und Renate Zöller
1
© AdobeStock/karepa

In der Fantasie der meisten Kinder ist der Weihnachtsmann ein gemütlich-dickbäuchiger Mann, in einen roten Mantel gekleidet, mit einem langen weißen Bart und roter Zipfelmütze. Auf einem hochbepackten Schlitten, von Rentieren gezogen, fliegt er durch die Lüfte und schließlich durch den Schornstein direkt ins Wohnzimmer, wo er die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum platziert. Geprägt hat dieses Bild der amerikanische Getränkehersteller von Coca-Cola, der in seiner Werbung schon 1931 den Weihnachtsmann in die Markenfarben des koffeinhaltigen Getränks – Rot und Weiß – gekleidet hatte.

Erfunden hat Coca-Cola den Weihnachtsmann aber nicht, auch wenn »alle Jahre wieder« Zeitungsenten zu dieser Legendenbildung beitragen. Zur Entstehung des Weihnachtsfests gibt es zahlreiche Hypothesen und Erzählungen. So soll das Weihnachtsdatum in der Tradition des kultisch begangenen Geburtstags des römischen Sonnengottes Sol Invictus zur Wintersonnenwende auf den 25. Dezember gelegt worden sein. Eine weitere Legende besagt, dass der erste Weihnachtsbaum der Welt in der lettischen Hauptstadt Riga aufgestellt wurde. Eine Steinplatte auf dem Rathausplatz in der Hansestadt datiert den ersten Baum auf 1510, dazu berichteten wir in der Weihnachtsausgabe der KK 2020.

 KK 1438 Weihnachtstraditionen Mohn1200800Mohnpielen/Makówka gehört Weihnachten auf den Tisch in Schlesien. © AdobeStock/Dar1930

Eine Legende besagt, dass Feinschmeckerinnen und Feinschmeckern der in weiten Teilen Ostmitteleuropas obligatorische Weihnachtskarpfen zu wenig festlich war und deshalb die Gans zum Festmahl erhoben wurde. Jedenfalls freute sich Arnold Piklaps schon als Kind zu Weihnachten auf die Gans. In seiner evangelischen Familie in Memel/Klaipėda kam diese schon Heiligabend auf den Tisch, während die katholischen litauischen Familien bis ein-schließlich Heiligabend traditionell zwölf fleischlose Gerichte aufdeckten. »Da zählt schon das Brot als Gericht«, sagt Piklaps und spricht an, wieso sich der Festtagstisch von Familie zu Familie unterscheidet: Die litauischen sind meist katholisch, während die memelländischen evangelisch sind.

Wobei Konfessionsunterschiede vor 1990, als Litauen unfreiwillig Teil der Sowjetunion war, sowieso keine große Rolle spielten. »In der Sowjet­zeit war der Silvesterabend staatlich gesehen wichtiger als Weihnachten«, erinnert sich Piklaps. In der einstigen Sowjetunion war die orthodoxe Religion die vorherrschende, und die feiert nach dem Julianischen Kalender erst im Januar die Geburt Christi. Heute seien die Unterschiede zwischen den Konfessionen bei vielen Familien in Litauen verwischt und die Traditionen ändern sich, bedingt durch die Abwanderung aus dem Memelland und durch die Demografie: Auch Piklaps hat eine katholische Litauerin geheiratet und so hielten die zwölf fleischlosen Gerichte in sein Haus Einzug, schmunzelt er und sagt, er sei nicht mehr »puristisch memelländisch«. Er will aber zumindest mit der Weihnachtsgans die memelländischen Traditionen an seine Kinder weitertragen.

Mit der Frage, wie Weihnachtstraditionen in Schlesien aussehen, beschäftigt sich Ka-ta­rzyna Opielka als Mitarbeiterin am Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz/Gliwice. In Oberschlesien aufgewachsen und in eine Familie mit deutschen Wurzeln eingeheiratet, kann sie ein lebendiges Bild der Weihnachtsrituale in der Region zeichnen. Bevor sie vermeintlich typische Gerichte der schlesischen Weihnachtsküche aufzählt, gibt sie vorab zu verstehen: »Ganz Schlesien ist ein kultureller Mix und das zeigt sich auch zu Weihnachten.«

So komme häufig der Karpfen auf den Weihnachtstisch, wie in weiten Teilen Polens. Wobei es viele Arten gebe, ihn zu servieren. Das sei von Familie zu Familie anders. Die Karpfentradition entstand in vorwiegend katholischen Regionen, da die Adventszeit streng genommen eine Fastenzeit ist und der Heilige Abend als Vorabend des Weihnachtstages mit einem speziellen Fastengericht begangen werden sollte. Der Süßwasserfisch wird in Polen häufig lebend gekauft und bis zu seinem letzten Stündchen in der Badewanne gehalten – Protesten von Tierschützerinnen und Tierschützern zum Trotz.

Wogegen niemand protestiert, ist die schlesische Lebkuchensoße, auch Moczka genannt. Sie wird zu Fleisch- und Fischgerichten serviert, aber auch als Dessert. Neben Lebkuchen ist (Malz-)Bier eine der vielen Zutaten. Mohn als Hauptbestandteil kommt dagegen in die Mohnpielen, im schlesischen Dialekt Mohkließla oder auf Polnisch Makówki genannt. Nach dem Essen geht es an Heiligabend in den schlesischen Stuben zum Weihnachtsbaum, unter dem das »Christkind« (Dzieciątko) die Geschenke für die Kinder platziert hat. In anderen Regionen, wie um Posen/Poznań oder in der Kaschubei, spricht man von Gwiazdor, einer Sternengestalt, die für die Bescherung zuständig ist.

Wobei selbstredend dann doch die Eltern oder Großeltern hinter dem Geschenkekauf stehen. »Weihnachten ist ein Fest, bei dem die Familie großgeschrieben wird«, berichtet Opielka. Zahlreiche Oberschlesierinnen und Oberschlesier haben Familie in Deutschland, besuchen diese oder werden von ihr besucht. So werde die Tradition auch dort weitergegeben.

Auch die Vorweihnachtszeit war weniger besinnlich als arbeitsintensiv, vor allem für ihren Vater, der Metzger war. Jeder im Ort hatte ein, meist zwei Schweine und ab dem Nikolaustag begann das Schlachten. Das hatte praktische Gründe – es war kalt und das Fleisch verdarb nicht so schnell. Es war für die Banater Deutschen unauflösbar mit Weihnachten verbunden.

Ab den 1970er Jahren war es fast unmöglich, Fleisch zu kaufen, erinnert sich Dietlinde Huhn. Aber dennoch kam an Weihnachten ein Festmahl auf den Tisch: Suppe mit Leberknödeln und als Hauptspeise »Mäuschen«: Schweinelende, gefüllt mit Wurst in Bauchnetz gewickelt. Und als Nachtisch »India­nerkopf«, ein mit Sahne gefüllter Teigball mit Schokoladenglasur, an dessen Namen sich damals noch niemand stieß, erzählt die ehemalige Lehrerin.

Als Kind war sie jedes Mal wieder überrascht, wie Heiligabend plötzlich der wunderschön geschmückte Weihnachtsbaum in das Wohnzimmer gekommen war. »Und es war ja auch wirklich ein Wunder, denn unser Ort liegt mitten in der Banater Heide, kein Baum weit und breit«, sagt Huhn lachend. Als besonderes Highlight hat sie den Besuch der »Chrischtkindcher« in Erinnerung: Zwei Kinder aus dem Dorf verkleideten sich als Josef und Maria und gingen mit einem Christkind im Arm von Haus zu Haus. Sie wurden hineingebeten und erzählten im Wohnzimmer die Weihnachtsgeschichte. Als Dankeschön bekamen sie etwas Geld oder Süßigkeiten.

Heute sind viele Deutsche aus dem Banat ausgewandert und von der alten Tradition ist nur noch wenig übrig. Die Kirche teilen sich die Verbliebenen mit den katholischen rumänischen und ungarischen Gläubigen sowie mit der Roma-Bevölkerung. Die Kinder gehen nicht mehr von Haus zu Haus, sondern erzählen die Weihnachtsgeschichte dort. Huhn ist Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Schwaben in Großsanktnikolaus. Kurz vor Weihnachten organisiert sie mit Kindern und Jugendlichen ein Festessen für die einsamen Alten, deren Angehörige im Westen sind. Das ist allerdings vor allem eine Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der die Gäste kleine Geschenke wie Socken oder Teetücher erhalten. Aber so schafft sie eine wunderbare Verbindung zwischen den Jungen und den Alten: »Oft können die sich gar nicht voneinander trennen, so viel haben sie einander zu erzählen«, sagt Huhn.

Und seit ein paar Jahren bastelt Huhn mit den Schülerinnen und Schülern der deutschen Schule Adventskalender. »Die Kinder freuen sich riesig darauf, Tag für Tag Weihnachten ein Stückchen näher zu kommen«, sagt Huhn. Nein, der Advent entspricht eigentlich nicht der banatschwäbischen Tradition. Aber das macht nichts, findet Huhn: »Wir waren immer schon anpassungsfähig.«

Anpassungsfähig mussten auch die Deutschen im böhmischen Erzgebirge sein. Durch Silber und andere wertvolle Rohstoffe war hier einst Reichtum entstanden, aber als sie zur Neige gingen, mussten sich die Bewohnerinnen und Bewohner der kargen Bergregion andere Einkommen erschließen. So konnten sie sich zu Weihnachten keinen besonderen Luxus leisten, weiß Josef Grimm, der aus Abert­ham/Abertamy in der Nähe von Karlsbad/Karlovy Vary stammt und für die »Heimatgruppe Glück auf« die Traditionen seiner Vorfahren schriftlich festgehalten hat. Ein Neun-Gänge-Menü gab es trotzdem, das »Neinerlaa«, das dreimal dreifaches Glück bringen sollte. Allerdings konnte ein Gang auch mal nur aus Pflaumenmus bestehen und auch die Kekse am Schluss wurden mitgerechnet, berichtet Grimm. Wichtigster Bestandteil war der Karpfen, der ja auch heute noch in ganz Tschechien zum Weihnachtsessen gehört. Wer sich den nicht leisten konnte, der aß zumindest Stockfisch, der zwei bis drei Tage lang in Wasser aufgeweicht wurde.

Grimm amüsiert sich vor allem über den Aberglauben, der im tief katholischen Dorf herrschte. Das Unglück lauerte überall. Wenn beim Zubereiten des Karpfens die Galle auslief, bedeutete das künftiges Pech. »Dabei ist das Pech doch schon da«, lacht Grimm: »Der Fisch war nicht mehr essbar!« Man durfte in den Weihnachtstagen bis Neujahr keine Wäsche aufhängen, keine Buttermilch trinken, keine Blaubeeren essen. Und wehe, während des Festmahls klopfte jemand an der Tür! Noch Jahrzehnte später in Bayern hatten seine Eltern große Sorge, das Telefon könnte klingeln, erinnert sich Grimm.

Besonders schön hat der 80-Jährige das »Hutzen Gieh« in Erinnerung, das gegenseitige »Besuchen Gehen« in der Vorweihnachtszeit. Die Frauen und auch viele Männer im Dorf klöppelten an den langen Winterabenden und weil gespart werden musste, tat man das gemeinsam, jedes Mal in einem anderen Haus. So musste nur eine »Hutznstubn« geheizt und beleuchtet werden und es wurde herrlich »gelotscht«, was wohl getrost als »getratscht« übersetzt werden kann.

KK 1438 Weihnachtstraditionen Kloeppeln 1200800In der »Hutznstub« saßen die Frauen in der Vorweihnachtszeit zum Klöppeln zusammen und »lotschten«. © Heimatmuseum Stadt und Landkreis Neudek in Augsburg

Das gemütliche winterliche Klönen wurde auch in Grimms neuer Heimat mit den anderen Deutschböhminnen und -böhmen im Dorf fortgesetzt: Nur einer von ihnen hatte einen Fernseher und an den Winterabenden trafen sich alle bei ihm, wenn ein neues Theaterstück von Willy Millowitsch gezeigt wurde.

Und noch ein weiteres Ritual hatten Grimms Eltern mit in die neue Heimat gebracht. Bei der Flucht konnten sie nur das Allernotwendigste mitnehmen. Dazu gehörten für sie die Figuren der Weihnachtskrippe. Die berühmten Kerzen-Pyramiden stammen aus dem sächsischen, traditionell evangelischen Teil des Erzgebirges, für die Katholiken im böhmischen Teil waren die geschnitzten und bemalten Holzfiguren die entscheidende Weihnachtsdekoration. Bis heute stellt Grimm sie jedes Jahr an Heiligabend in seinem Wintergarten auf. Und dann, gesteht er, stellt er vorsichtshalber lieber das Telefon ab.