Eine Rezension von Dawid Smolorz
Kulturkorrespondenz östliches Europa, № 1447 | Drittes Quartal 2025
KK 1447 Smolorz TitelWer sich jemals mit der Vergangenheit der eigenen Familie auseinandergesetzt hat, wird sofort verstehen, welch enormen Aufwand Bernhard R. Kroener in das Verfassen seines zweibändigen Buches gesteckt hat. Gleich eingangs muss allerdings betont werden, dass es sich bei seinem Werk nicht um eine »typische« Familiensaga handelt. Der Autor gibt zwar zu, einen Roman geplant zu haben, in dem Erinnerungen und Überlieferungen in eine fiktive Rahmenhandlung eingebettet gewesen wären, doch siegte am Ende der Historiker in ihm. Lebensscherben – Hoffnungsspuren ist eine dokumentarische Erzählung geworden, in deren Mittelpunkt das Schicksal einer in Schlesien beheimateten Familie in einer Zeitspanne von etwa 200 Jahren steht.
 

Der Autor schildert den Aufstieg einer in den ländlichen Gegenden Südoberschlesiens ansässigen Lehrerdynastie ins großstädtische Bürgertum der Metropole Breslau/Wrocław, um schließlich die drei Brüder Kroener, darunter seinen Vater, vorzustellen. Sie und ihre nächsten Angehörigen sind die eigentlichen Protagonisten und ihr (zum Teil tragisches) Schicksal in der Zeit der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs bildet die zentralen Punkte der Handlung. Viel Aufmerksamkeit schenkt Kroener, der von Haus aus Militärhistoriker ist, den Kriegserlebnissen seines Vaters und seiner Onkel. Anhand ihrer Tagebücher gelang es ihm, nicht nur ihre Kampfrouten zu rekonstruieren, sondern auch die Emotionen wiederzugeben, die diese Männer damals begleiteten.

Mit Recht wird das Buch im Untertitel als »dokumentarische Erzählung« bezeichnet. Die Memoiren, Dokumente, Briefe, Überlieferungen und Kriegstagebücher, auf die sich der Verfasser stützt oder die er zitiert, verleihen dem Text zusätzliche Authentizität. Der Autor hatte Glück, denn er selbst und seine Verwandten sind im Besitz umfangreicher historischer Materialien mit familiärem Bezug. Und er hatte auch die Motivation und Ausdauer, durch aufwendige Archivrecherchen, die er auch in der schlesischen Heimat seiner Vorfahren betrieb, fehlende »Scherben« und Puzzleteile zusammenzufügen.

Als Bernhard R. Kroener die Arbeit an seinem Werk begann, lebten die Europäer noch in einer anderen Epoche. Durchaus berechtigt war damals die Überzeugung, dass sich die Ereignisse und Erlebnisse, wie sie im Buch geschildert werden, auf unserem Kontinent in dieser Form in absehbarer Zukunft nicht wiederholen würden. Durch den russischen vollumfänglichen Angriffskrieg gegen die Ukraine gewann die Erzählung seit dem Februar 2022 unbeabsichtigt und unerwartet eine traurige Aktualität.

Bernhard R. Kroener: Lebensscherben – Hoffnungsspuren. Eine Familie aus Schlesien in den Stürmen des 20. Jahrhunderts. Eine dokumentarische Erzählung 
Miles-Verlag, Berlin 2023. Band 1: Von den Anfängen bis 1943, 452 S.,

  • ISBN 978-3-96776-066-8; Band 2: 1944 bis 1948, 308 S.,
  • ISBN 978-3-96776-067-5