Szczepan Twardoch: Demut. Eine Rezension von Markus Nowak.
Buchcover: Szczepan Twardoch: Demut»Sie haben sehr gefiebert. Sie haben etwas auf Polnisch gerufen. Sind Sie Pole, Leutnant?« »Nein«, erwidere ich, »ich bin aus Oberschlesien.«

Dieser Dialog zwischen Alois Pokora und einer Diakonisse im Berliner Bethanien-Krankenhaus fällt erst nach hundert Seiten, ist aber eine der Schlüsselszenen im Roman Demut von Szczepan Twardoch: In ihm geht es um Demut, die Suche nach Würde und die Rolle von Sprache und Herkunft darin.

Vor dieser Szene erlebte Pokora die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, aber auch den Aufstieg als Sohn einer oberschlesischen Bergmannsfamilie zum Studenten in Breslau/Wrocław. Möglich gemacht durch die Gunst des Dorfpfarrers, dessen wahre Motive erst am Ende offenbart werden.

»Und wie steht es um deine patriotische Erziehung, Junge?« Pfarrer Peter wechselte ins Deutsche. »Selbst wenn ihr zu Hause Polnisch sprecht, heißt das ja nicht, dass ihr keine guten Untertanen des Kaisers sein könnt, gute Deutsche. […]«

In der Tat spricht Alois zuhause »in unserer Sprache«, wie der Ich-Erzähler das Oberschlesische bezeichnet. Akzentfreies Deutsch und damit einen Schritt auf der Suche nach der Würde wird der Ich-Erzähler erst auf dem Gymnasium lernen.

Pokora, übrigens auch das polnische Wort für Demut und der Titel der polnischen Originalausgabe, erlebt auf dem deutschen Gymnasium, was es heißt, demütig zu sein: Die Mitschüler hänseln ihn für seine ethnische und soziale Herkunft und auch gegenüber seiner einseitigen heimlichen Jugendliebe Agnes füllt er sich demütig. Mit der freiwilligen Meldung zum Krieg und der Offizierslaufbahn glaubt er das abzustreifen. Er stellt fest wie seine Sprache und Herkunft – wie durch Zufall nach dem Krieg im Berliner Revolutionsgetümmel in den Spartakusbund hineingestoßen – mal zum Vor-, mal zum Nachteil werden können. Mit seiner Erfahrung aus Kriegszeiten schult er eine revolutionäre Kampftruppe, die sich mit Kaisertreuen im Berliner Schloss eine Schießerei liefert.

Bis er selbst gefasst wird und sich winselnd vor den Gewehrkolben von Kaisertreuen wiederfindet und von seinem Jugendfreund Smilo nach Oberschlesien »gerettet« wird. Doch da wartet ein neues »Abenteuer«: »[…]es ist eine Frage unserer Ehre, der Ehre von uns Schlesiern, dass unsere Heimat nicht vom Reich abfällt, […] Oberschlesien ist uraltes deutsches Land«, will ihn Smilo für die deutsche Seite einspannen, als das sich neu konstituierende Polen Oberschlesien beansprucht. Alois erlebt aber auch das Werben der »Korfanty-Leute« um ihn für ihre Sache und wird schließlich zerrieben zwischen deutschen Freikorps und polnischen Aufständischen.

Mit Demut ist Twardoch erneut ein überaus lesenswertes Werk gelungen, das nicht nur vor der Kulisse Oberschlesiens spielt, sondern die Problematik der Region zu einem wichtigen Motiv macht. Twardoch ist in seiner Heimat längst ein etablierter Autor. Unlängst betitelte ein Magazin seine Auszeichnung mit einem Buchpreises als »polnischen Erfolg«. Twardoch reagierte darauf in einem offenen Social-Media-Post: »Liebe Redaktion […], das ist kein Erfolg eines Polen, weil ich kein Pole bin. Ich bin Oberschlesier.«


Szczepan Twardoch: Demut
Rowohlt Verlag, Berlin 2022, S. 464, ISBN 978-3-7371-0121-9