Wie in allen Regionen des damaligen Deutschen Reiches wurde auch in Oberschlesien während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren danach Notgeld gedruckt. Die optisch durchaus ansprechenden Scheine er-wiesen sich schnell als geeignetes Mittel der landeskundlichen Werbung und Förderung der heimatlichen Geschichte. Wegen des entflammten deutsch-polnischen Konflikts um die Zugehörigkeit Oberschlesiens wurde das dortige Notgeld zudem zu einer Art Ausdrucksplattform nationaler Überzeugungen und zum Do-kument einer bewegten Zeit. Von Dawid Smolorz
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Das Lyzeum in Hindenburg/Zabrze 1923 auf dem Fünf-Millionen-Mark-Schein © Dawid Smolorz

Schon Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges herrschte im Grenzland zum Russländischen Reich eine angespannte Atmosphäre. Die Unsicherheit, zum Teil verstärkt durch diverse »Fake-News«, aber auch durch die Bekanntgabe der Mobilmachung, bewog die Bevölkerung dieses südöstlichen Zipfels des Reiches dazu, nicht nur silberne, sondern auch Nickelmünzen zu horten. Mit dem Hamstern von Pfennig- und Markstücken wollte man sich in einer turbulenten Zeit ein bisschen Stabilität sichern.

Gegen diese Entwicklung, die sich zeitweise beinahe in eine Art Psychose verwandelte, konnte die Reichsbank keine effektiven Mittel finden. Das Fehlen von Münzen führte zum Chaos im Einzelhandel und erschwerte Transaktionen wie die Auszahlung von Gehältern. Um die lokale Wirtschaft nicht zugrunde gehen zu lassen, gaben kommunale Verwaltungen und Industriekonzerne eigene Geldscheine heraus, die in der Regel nur auf einem relativ kleinen Gebiet gültig waren. So wurden schon Anfang August 1914 die ersten Notgeldscheine in der Region gedruckt. Die Ausgabe des Notgeldes unterlag bestimmten Regelungen: Um eigene »Ersatzwährung« ausgeben zu dürfen, musste die jeweilige Kommune beziehungsweise Firma beispielsweise eine bestimmte Geldsumme bei der Bank deponieren.

Anfangs betrachtete man die aus der Not geborenen Scheine nur als Zahlungsinstrument. Recht schnell erkannte man aber auch ihr Potenzial als Plattform zur Vermittlung von verschiedenen Inhalten. So findet man auf den oberschlesischen, oder präziser gesagt, auf den deutschen Notgeldscheinen in Oberschlesien aus der Zeit des Ersten Weltkrieges und der Periode danach oft Motive aus der lokalen Geschichte, imposante Baudenkmäler oder Portraits von mit der jeweiligen Gegend verbundenen Persönlichkeiten. Die immer ästhetischere Gestaltung machte die Banknoten bald auch zu einem Sammelobjekt. Einige Kommunen ließen sogar eigens für diesen Zweck bestimmte Scheine drucken und sicherten sich dadurch zusätzliche Einkünfte.
In Oberschlesien kam im Zusammenhang mit diesem Phänomen noch ein weiterer wichtiger Faktor hinzu, nämlich die Auseinandersetzung um die staatliche Zugehörigkeit der Region 1918 bis 1922. Der nach Ende des Ersten Weltkrieges wiederhergestellte polnische Staat erhob Anspruch auf Oberschlesien, in dem sich das zweitwichtigste Industrierevier Deutschlands befand. Über die Zukunft der Region sollte am Ende die von den Siegermächten angeordnete Volksabstimmung entscheiden, die auf beiden Seiten eine enorme Mobilisierung hervorrief.

Es wurden unzählige Broschüren, Plakate, Flugblätter und andere Materialien herausgegeben, die die unentschlossenen Bevölkerungsteile zur Stimmenabgabe für Deutschland oder für Polen bewegen sollten. Die Notgeldscheine wurden im Zusammenhang mit dem Plebiszit nur selten direkt als Propagandamittel genutzt. Vielmehr wurde die Volksabstimmung selbst darauf durch entsprechende Grafiken als wichtiges Ereignis verewigt. Viel eindeutiger wurden prodeutsche beziehungsweise propolnische Inhalte im Bereich des Notgeldes nach der Volksabstimmung, die am 20. März 1921 stattfand, und nach dem dritten polnischen Aufstand im Mai desselben Jahres zum Ausdruck gebracht.

Zwar wurde das Notgeld in einigen Kreisen bereits früh zu einem begehrten Sammelobjekt, doch erlangte es als Hobby nie derart hohe Popularität wie die Numismatik oder die Philatelie. Zu der kleinen, etwa zehn Menschen zählenden Gruppe oberschlesischer Notgeldsammler gehört Bronisław Wątroba aus Ruda/Ruda Śląska, der sich abgesehen von dieser Leidenschaft auch durch weitere Initiativen für die Popularisierung der regionalen Geschichte und des oberschlesischen Dialekts einsetzt. »Wie viele meiner Bekannten habe ich als Teenager mit dem Sammeln von Münzen angefangen. Die Notgeldscheine wurden für mich erst in den frühen 1990er Jahren ein Thema«, erinnert er sich.

KK 1439 30 33 Notgeld OS Smolorz Notgeld 850x1200© Schlesische Digitale BibliothekEine erste Ausstellung über das besondere Zahlungsmittel bereitete er 1998 vor, einem nicht zufällig gewählten Datum. Damals wurde in Polen viel über die bevorstehende Verwaltungsreform und die neuen Woiwodschaftsgrenzen diskutiert. »Da für die geplante Woiwodschaft Schlesien eine territoriale Form postuliert wurde, die kaum etwas mit dem historischen Gebiet gemeinsam hatte, wollte ich meine oberschlesischen Notgeldscheine einem breiteren Publikum präsentieren und damit zeigen, dass die Region ein Ganzes bildet, dass sie klar definierte Grenzen hat«, erinnert sich der Spezialist. Seitdem hat Wątroba seine Sammlung rund 150 Mal in unterschiedlichen Einrichtungen ausgestellt. Seine Intention bestand dabei immer darin, mittels Notgeld ein Stück regionaler Geschichte zu erzählen. »Das ist ein Element des historischen Erbes, die Banknoten sind zugleich Zeugnisse einer für Oberschlesien sehr ereignisreichen Zeit«, konstatiert Wątroba.

Seine Sammlung zählt etwa 2 500 Scheine, die zwischen 1914 und 1924 von ober- und niederschlesischen Kommunen und Konzernen ausgegeben wurden. Bei denen, die aus der Zeit nach 1922 stammen, handelt es sich meistens um schlichte Banknoten aus der Periode der Hyperinflation. Denn bei Billionen-Scheinen stand die Ästhetik verständlicherweise nicht im Vordergrund. Mittlerweile wächst die Sammlung nicht mehr so intensiv wie früher. Auch stellt er nicht mehr so oft aus, vor allem, weil er festgestellt hat, dass die Stempel auf den Scheinen durch Lichteinwirkung stark verblassen.

Zwischen 1914 und den frühen 1920er Jahren gaben Kommunen und Firmen in allen Regionen des damaligen Deutschen Reiches eigenes Notgeld aus. Wie der Sammler aber betont, weise Oberschlesien in dieser Hinsicht manche Besonderheit auf. Eine der wichtigsten sei die zweisprachige Beschriftung. Zwar dürfte dies in einer von deutsch- und slawischsprachiger Bevölkerung bewohnten Region eigentlich nicht wundern, doch war die Herausgabe von zweisprachigen Scheinen keineswegs allgemeine Praxis und sie war grundsätzlich auf die östlichen Landkreise beschränkt, die bei der Volksabstimmung mehrheitlich für Polen gestimmt hatten und im Sommer 1922 an den polnischen Staat angeschlossen wurden. Erwähnenswert sei ferner der Umstand, dass nach dem Ersten Weltkrieg zeitweise für den gesamten Industriebezirk Notgeld ausgegeben wurde. Das sei sehr selten gewesen, sagt Wątroba, weil eine solche Initiative enger Kooperation zwischen mehreren Kommunen bedurfte. Generell sei Notgeld jeweils nur in einer bestimmten Stadt oder Gemeinde gültig gewesen. Eine Seltenheit in Wątrobas Sammlung sind zudem Notbanknoten, die von einer katholischen Pfarrgemeinde ausgestellt wurden.

Von den Tausenden lokalen Geldscheinen, die in der Region gedruckt wurden, verdienen einige besondere Aufmerksamkeit. Wie in anderen Teilen Deutschlands wurden auch in Oberschlesien ganze Serien von »Ersatzgeld« gedruckt, die über mehrere Banknoten konkrete Geschichten erzählten. Hier bezogen sie sich manchmal auf aktuelle Geschehnisse oder sollten mit ihrer patriotischen Aussage die deutsche beziehungsweise die polnische Gesinnung stärken. Beispielsweise gab die 1922 polnisch gewordene Gemeinde Kunzendorf/Kończyce, heute Teil der Stadt Hindenburg/Zabrze, eine Serie von Banknoten zur Festsetzung der deutsch-polnischen Staatsgrenze heraus.

Mehrere Serien erinnerten an die Volksabstimmung oder dokumentierten den polnischen Aufstand vom Mai 1921 – den sogenannten Maiaufstand. Während Gemeinden im Osten Oberschlesiens dieses Ereignis oft positiv darstellten, sieht man auf den im Westen und in den zentralen Teilen der Region herausgegeben Scheinen meist brennende Dörfer, vor den Aufständischen flüchtende, notleidende Menschen oder durch die polnischen Insurgenten angerichtete Zerstörungen. Erwähnenswert ist überdies, dass man unter den Zeichnern der Notgeldillustrationen auch in der Region bekannte Namen findet, zum Beispiel ist der 1879 in Königshütte/Chorzów geborene Maler, Schriftsteller und Journalisten Stanisław Ligoń zu nennen.

Insgesamt haben in Oberschlesien in der Zeit um den Ersten Weltkrieg 334 Gemeinden und Unternehmen Notgeld gedruckt. Dieses Kapitel der regionalen Geschichte ist eigentlich abgeschlossen. Manchmal allerdings lassen auch heute Kommunen ihr eigenes Geld prägen.

Im Jahr 2008 beispielsweise gab die Stadt Ruda 20 000 Kupfermünzen im Wert von fünf Godulla-Talern, den Talary Goduli, heraus. Der Name der Währung knüpft an Karl Godulla/Karol Godula an, den im 19. Jahrhundert in der dortigen Gegend tätigen Großindustriellen. Dieser Selfmademan, der in der Region oft als »Zinkkönig« bezeichnet wurde, brachte es zum Multimillionär und besaß zum Zeitpunkt seines Todes insgesamt knapp sechzig Erz- und Steinkohlegruben. Mit der Münze, die offiziell dem Wert von fünf Złoty entsprach, konnte man in ausgewählten Läden und Lokalen innerhalb der Stadtgrenzen von Ruda zahlen. Solche Initiativen findet Bronisław Wątroba zwar interessant, als Notgeld würde er den Godulla-Taler allerdings nicht bezeichnen. Schließlich handelt es sich dabei nicht um einen notwendigen Geldersatz, sondern ausschließlich um eine Marketingmaßnahme.