Rezension | Das Museum in München bietet seit Ende 2020 eine Zeitreise durch die Geschichte der deutschsprachigen Volksgruppe in Böhmen und Mähren bis zur Vertreibung und dem Neubeginn in Deutschland
März/April 2021 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1422
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In der Ausstellung werden typische Produkte aus dem Sudetenland ausgestellt. Foto: © Susanne Habel

Von Susanne Habel

Fünf Etagen, 1 200 Quadratmeter Fläche und 900 Exponate: Das Sudetendeutsche Museum in München zeigt seit Ende 2020 die Geschichte der gleichnamigen Gruppe. Wuchtig und mit Steinplattenverkleidung bietet der Bau neben dem Sudetendeutschen Haus eine Zeitreise. Der Rundgang durch die Dauerausstellung beginnt im obersten der fünf Geschosse, und von dort geht es treppab durch ein Millennium.
Zunächst wird die Vorgeschichte der Sudetendeutschen seit der ersten Besiedlung und die Landschaften vom Egerland im Westen bis nach Mähren im Südosten beschrieben. Dazu gibt es eine interaktive Karte mit Touchscreen, auf der man weitere Informationen zu einzelnen Gebieten und Orten aufrufen kann. Ähnliche Multimediastationen sind auch in den anderen Abteilungen zu finden. Zwischen den Vitrinen mit Kulturschätzen wie einer Madonna Immacolata aus Leitmeritz/Litoměřice und einer Kastenkrippe kann man sich an einem Monitor durch die Religionen und ihre jeweiligen Kultstätten klicken: Vor allem katholisch, aber auch protestantisch und jüdisch waren Land und Leute geprägt. Selbst die christlichen Kirchenfeste sind am Touchscreen zu besuchen.

Das Museum ist von außen mit Steinplatten verkleidet. Foto: © Susanne HabelDas Museum ist von außen mit Steinplatten verkleidet. Foto: © Susanne Habel

Wirtschaft und Kultur sind die Hauptthemen der Etage darunter, mit Erzeugnissen sudetendeutscher Produzenten und Handwerker: Noch heute kennt man Kunert-Strümpfe, Pilsner Bier oder Gablonzer Schmuck, aber es gab viel mehr erfolgreiche Produkte, wie hier zu sehen ist. Allerdings wurde der Gartenzwerg nicht im Sudetenland erfunden – wie in einer Presse-Ente bei der Eröffnung im letzten Oktober verbreitet. Gartenzwerge wurden jedoch früh in der Region produziert, ebenso hochwertige Keramik oder Porzellan. Auch Theater, Musik und das böhmische Bäder- und Kurwesen werden dargestellt. Im nachgebauten »Prager Kaffeehaus« hängen Zeitungen zwischen Stühlen aus Bugholz, die nicht in Wien oder Paris entworfen wurden, sondern von Michael Thonet im mährischen Koritschan/Koryčany.

Eine Etage tiefer geht es um die Nationalitäten- und Sprachenkonflikte, die in den 1830er Jahren eskalierten und nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der Tschechoslowakei zum Aufstieg der Sudetendeutschen Partei bis hin zum »Anschluss« an Hitler-Deutschland führten. Schließlich werden mit erschütternden Exponaten die Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen und die Nachkriegszeit mit dem harten Neubeginn und der Aufbauleistung der Heimatvertriebenen dokumentiert. Trotz der Fülle des Materials ist der Weg durch die Geschichte nicht anstrengend, sondern immer voll spannender Entdeckungen.
Alle Abteilungen sind barrierefrei und gut lesbar deutsch, tschechisch und englisch beschriftet. Wem all die Exponate, Texte, Filme und Medienstationen nicht genügen, der kann über einen Mediaguide vertiefende Informationen zu den einzelnen Abteilungen, Interviews mit Zeitzeugen oder Details zu Exponaten abrufen.

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