Im Königsberger Gebiet rückt die Vergangenheit immer stärker ins öffentliche Bewusstsein
von Peter Pragal
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Über das Straßenpflaster der Königsberger Altstadt rumpelt ein Pferdewagen. Rechts und links ziehen Häuser vorbei, Gebäude mit Erkern und Stuckfassaden. Im Erdgeschoss sieht man Geschäfte mit deutschen Aufschriften. »Königliche Hofapotheke« steht über einem Ladeneingang. Aus Lautsprechern ertönt Pferdegetrappel. Eine Straßenbahn fährt quietschend um die Kurve. Die Zuschauer im stadtgeschichtlichen Museum im Friedländer Tor schauen gebannt auf die Leinwand. Sie befinden sich auf einem virtuellen Spaziergang durch die ostpreußische Metropole in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Die Video-Dokumentation vermittelt ihnen – ähnlich wie in einem 3D-Streifen – den Eindruck, als säßen sie in einem Gefährt und ließen sich durch die Stadt fahren, vorbei am Königlichen Schloss, an der Universität und über die Hohe Brücke. Der Film habe sie tief berührt, hat eine deutsche Touristin in das Gästebuch geschrieben. Sie habe begriffen, »was für eine wunderbare Stadt Königsberg war.« Und wie entsetzlich es sei, »was der Krieg zerstört hat.« Am Ende der Eintragung steht der Satz: »Nie wieder Krieg.«

Das Friedländer Tor mit seinen drei Spitzbogenportalen wurde 1862 als letztes Glied des inneren Verteidigungsringes fertig gestellt. Auf einem Sockel steht die Figur von Siegfried von Feuchtwangen, Hochmeister des Deutschen Ritterordens. Die Statue war nach dem Zweiten Weltkrieg mutwillig zerstört und vor einigen Jahren restauriert worden. Dasselbe geschah mit den historischen Standbildern am Königstor, denen man nach 1945 die Köpfe abgeschlagen hatte. Auch dort haben der Stadtgründer König Ottokar von Böhmen, der erste Preußenkönig Friedrich I. und Herzog Albrecht, der letzte Ordenshochmeister, ihre traditionellen Plätze zurück erhalten.

Als Arbeiter Ende der 80-er Jahre beim Reinigen der Teiche im Südpark Haushaltsgegenstände aus deutscher Zeit entdeckten, entstand die Idee, ein Museum einzurichten. Es sollte den russischen Bewohnern von Kaliningrad und ihren Gästen zeigen, wie das Alltagsleben der früheren Bewohner aussah. Inzwischen ist die Ausstellung ein Besuchermagnet. Zu den Besuchern zählen auch russische Schulkinder. Die Fülle von Exponaten, die im Trümmerschutt gefunden wurden, reicht von Haushaltsgeräten über die Utensilien eines Schneider-Ateliers bis hin zur Ausstattung eines Postamtes. In Schränken und Fächern liegen deutsche Feldpostkarten, Reisepässe und andere Dokumente. Alte Schilder werben für Maggi-Suppen, für das Waschmittel Persil und für die Schuhpflegemarke Erdal. Auf einem Kino-Plakat sitzt Hans Albers auf einer Kanonenkugel und verkündet die Aufführung des Ufa-Films Münchhausen.

Das kulturhistorische Museum im Friedländer Tor zeigt geradezu beispielhaft die Veränderung beim Umgang der russischen Stadt mit dem deutschen Erbe. Nachdem die Rote Armee im April 1945 Königsberg erobert, Diktator Stalin das nördliche Ostpreußen der Sowjetunion einverleibt und die Deutschen vertrieben hatte, setzten die kommunistischen Machthaber alles daran, in dem für Ausländer gesperrten Gebiet die Spuren einer Jahrhunderte alten deutschen Kultur auszulöschen. »Von Adam bis Potsdam gab es hier keine Geschichte«, sagt spöttisch eine in Kaliningrad lebende russische Germanistin.

Das änderte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion. Zunächst noch zaghaft, aber zunehmend bedrängt von den Fragen einer wissbegierigen jüngeren Generation, besannen sich die politisch Verantwortlichen auf die lange verschwiegene Vorgeschichte der Region. Auch in Medien und bei Bürgern wuchs das Interesse an den Resten deutscher Kultur. Das richtete sich zunächst auf den Dom als berühmtestes Bauwerk der Stadt. Seit 1992 wurde das im Bombenhagel britischer Flugzeuge zerstörte Gotteshaus mit Geld aus Moskau und Spenden aus Deutschland restauriert. Mit seiner in Potsdam neu gefertigten Hauptorgel ist es als Konzert- und Vortragssaal zum kulturellen Zentrum der Stadt geworden. Im Hauptschiff des Doms ist die Baugeschichte zweisprachig dokumentiert. Auf einer Wand im Seitenschiff sind die Namen bedeutender deutscher Gelehrter verzeichnet, die an der Königsberger Universität wirkten.

Auch um das Backsteingebäude herum sind Zeugnisse deutscher Vergangenheit unübersehbar. Das beginnt beim Grabmal des Philosophen Immanuel Kant, dem offiziellen Namensträger der heutigen Universität, führt über ein Denkmal für Herzog Albrecht als Stifter der Uni Albertina und endet bei einem Gedenkstein mit Plakette, der an den liberalen protestantischen Theologen Julius Rupp, den Großvater von Käthe Kollwitz, erinnert. Vor dem Eingang zum Dom zieht ein aus Metall gefertigtes Modell die Blicke der Besucher auf sich. Es zeigt das Schloss, die Börse sowie andere Gebäude und ist berühmten Königsbergern gewidmet. Genannt sind neben Kant und Kollwitz auch E.T.A Hofmann, Otto Nicolai und Agnes Miegel. »Gestiftet von deutschen Sponsoren«, heißt es zur Erläuterung.

Doch es sind nicht allein die Denkmäler und Erinnerungstafeln, die eine Hinwendung der Königsberger Russen zur deutschen Vergangenheit signalisieren. Man merkt es auch an den zahlreichen großflächigen Schwarz-Weiß-Fotos vom unzerstörten Königsberg, die an vielen Stellen der ostpreußischen Metropole zu sehen sind. Ob am Flughafen oder in Hotels, in Restaurants oder an Gebäuden des Stadthafens – überall in der Stadt können die Menschen einen Blick auf eine Häuserkulisse werfen, die es nicht mehr gibt. Selbst an Straßenbahnhaltestellen schmückt sich die Stadtverwaltung mit Bildern vom Schloss oder den historischen Bauten am Pregel-Fluss.

Angesichts der trostlos anmutenden Plattenbauten, die auf den Bracheflächen der zertrümmerten Innenstadt hochgezogen wurden, wird das Interesse an der Zeit vor der Zerstörung verständlich. Auch das »Haus der Räte«, ein wegen statischer Mängel nie bezogener Beton-Koloss, der einen Teil der Fläche einnimmt, auf dem das von der Sowjetmacht gesprengte Stadtschloss stand, ist unverändert eine Provokation für ästhetisches Empfinden. Was nach der Privatisierung der jetzige Investor mit dem architektonischen Monstrum vorhat, ist ungewiss. Angeblich erwägt die Verwaltung, den im Ausland lebenden Besitzer zu enteignen, um das Gebäude abreißen und die Neubebauung einer zentralen Fläche planen zu können.

Nicht etwa, dass in Königsberg nicht neu gebaut würde. Es gibt moderne Glaspaläste, ansprechende Bürobauten und Hochhäuser mit Eigentumswohnungen, die auch in westlichen Städten stehen könnten. Am Ufer des Oberteiches, den eine neu angelegte Promenade umgibt, ist ein ganzes Viertel exklusiver Wohnhäuser entstanden. Die um den See gruppierten Villen und Häuser aus deutscher Zeit wurden zum Kulturerbe deklariert. Am Pregel, schräg gegenüber der Dominsel, wurde das Fischdorf errichtet, eine Zeile imitierter Bürger- und Speicherhäuser nebst Leuchtturm und einem Luxushotel mit dem deutsch klingenden Namen „Kaiserhof.“ Besonders begehrte Wohnlagen sind die vom Krieg weitgehend verschonten, westlich gelegenen Stadtviertel wie Auf den Hufen und Amalienau. Die meisten der Villen, die vom einstigen bürgerlichen Wohlstand verkünden, sind restauriert. Einer der russischen Besitzer hat neben dem Hauseingang ein altes deutsches Straßenschild befestigt: »Kastanienallee 15.«

Auf der Platzanlage vor dem im Krieg unversehrten Südbahnhof, in dessen pompöser Halle man das deutsche Schalterschild »Bahnhofsdienstleiter« entdecken kann, steht überlebensgroß eine Figur auf einem Sockel. Sie zeigt Michail Kalinin, einen linientreuen Weggefährten Stalins und nominelles Staatsoberhaupt der Sowjetunion, nach dem das russische Königsberg seit Juni 1946 benannt ist. In den 90er Jahren gab es Überlegungen, der Stadt den alten oder wenigstens einen anderen Namen zu geben, etwa Baltikograd (Ostseestadt) oder Kantgrad. Davon redet offiziell heute niemand mehr. Generationen von Menschen hätten sich an Kaliningrad gewöhnt, sagt eine Touristenführerin. Trotzdem scheint es eine Menge Bewohner zu geben, die an dem traditionellen Namen hängen. Auf vielen Autokennzeichen steht als demonstrative Geste unter den Ziffern und Buchstaben in lateinischer Schrift der Ortsname »Königsberg«.

Der zunehmend unbefangene Umgang mit der deutschen Vergangenheit ist auch an zahlreichen anderen Orten des Königsberger Gebietes zu erkennen. In Zelenogradsk, wie das viel besuchte Ostseebad Cranz heute heißt, steht auf dem Ortsschild der deutsche Name unter dem russischen. An einem Haus hängt eine Tafel, die auf Deutsch darüber Auskunft gibt, dass die preußische Königin Luise 1807 auf der Flucht vor Napoleon hier übernachtet hat. In Rybacij, dem einstigen Rossitten auf der Kurischen Nehrung, spricht ein russischer Wissenschaftler der traditionsreichen Vogelwarte vor russischen Schulkindern mit größter Hochachtung von den Leistungen seiner deutschen Vorgänger. Und im Seebad Rauschen (Svetlogorsk), wo wohlhabende Kaliningrader und reiche Moskowiter ihre pompösen Ferienhäuser haben, trifft man beim Spaziergang auf einen Findlingsstein mit einem aufgeschlagenen Buch aus Bronze. Er erinnert daran, dass sich Thomas Mann im Sommer 1929 hier aufhielt und während dieser Zeit seine Novelle Mario und der Zauberer verfasste.

Manche Deutsche, die in Ostpreußen familiäre Wurzeln haben, sind zurückgekommen. Einer von ihnen ist Ludwig Becker, ein Unternehmer aus Württemberg. In Palmnicken an der Samlandküste, das jetzt Jantary heißt, hatte der Vorfahr Moritz Becker mit der industriellen Förderung und Bearbeitung von Bernstein begonnen und den Betrieb später an den Staat verkauft. Der Nachfahr Ludwig engagierte sich als Mäzen, baute ein Hotel mit Restaurant, das 2009 einen gastronomischen Preis gewann. In der einst evangelischen Feldsteinkirche, deren Bau Ende des 19. Jahrhunderts Moritz Becker finanzierte, hängen mit Unterstützung von Nachfahr Ludwig wieder die deutschen Glocken. Obwohl die Kirche jetzt orthodox ist, sind die Wände nicht wie üblich mit Ikonen verziert, sondern protestantisch kahl.

Im Kaliningrader Oblast, so die offizielle Bezeichnung der Region, ist das eine Ausnahme. Mehr als 200 Kirchen fanden die neuen Machthaber nach 1945 dort vor. Allein in Königsberg gab es 28 evangelische und acht katholische Gotteshäuser. Die meisten der Gebäude verfielen oder wurden zweckentfremdet. Als Speicher und Werkstätten oder – im besten Falle – als Kultureinrichtungen. So wurde die frühere Königsberger katholische Kirche zur Heiligen Familie Spielstätte der Kaliningrader Philharmonie. In der ehemaligen evangelischen Luisenkirche ist ein Puppentheater zu Hause. Katholiken und Protestanten blieb in der Gebietshauptstadt nur je ein Gotteshaus.

Die von den Nazis zerstörte jüdische Synagoge soll am alten Standort an der Honigbrücke über den Pregelarm wieder aufgebaut werden. Modellbilder am Bauzaun zeigen bereits ihre künftige Gestalt. Alle anderen Kirchen zwischen Tilsit (Sovetsk) und Heiligenbeil (Mamonovo), zwischen Pillau (Baltijsk) und Stallupönen (Nesterov), allen voran die neu erbaute imposante Erlöserkathedrale am ehemaligen Königsberger Hansa- und heutigen Siegesplatz, hat die orthodoxe Kirche in Besitz genommen. In Russland ist sie zugleich Staatskirche, und sie weiß ihren Machtanspruch gegenüber anderen Konfessionen und weltlichen Kontrahenten energisch durchzusetzen.

Das zeigt sich etwa darin, dass sie bei der räumlichen Ausgestaltung mitunter wenig Rücksicht auf denkmalpflegerische Belange nimmt. Die kleine Dorfkirche St. Katharina in Arnau (heute Maryno) galt wegen ihrer weitgehend erhaltenen, zweifach um das Kirchenschiff laufenden Fresken als architektonische Besonderheit. Deutsch-russische Kulturvereine restaurierten in mehrjähriger Arbeit das vom Abriss bedrohte Gebäude und richteten mit Genehmigung der Behörden ein kulturgeschichtliches Museum ein. Ein russischer Reiseführer, von Beruf Lehrer und Germanist, der sich bei dem Aufbau engagiert hatte, entdeckte bei einer Besichtigungstour mit Kollegen zu seinem Entsetzen, dass die orthodoxe Kirche Holzbalken abgesägt, das Fries beschädigt, Museumsstücke weggeschafft und einen orthodoxen Altar eingebaut hatte.

Proteste gegen diesen Kulturbruch bewirkten wenig. Die russisch-orthodoxe Kirche berief sich auf ein in Moskau beschlossenes Gesetz, wonach alle Kirchen auf russischem Territorium, die in der Sowjetzeit unter Stalin enteignet und umgewandelt wurden, in den Besitz der Orthodoxen zurückkehren. Seither beansprucht deren Kirchenführung sogar einstige Ordensburgen und ignoriert dabei, dass der Deutsche Ritterorden niemals Teil einer Kirche war. Ganz abgesehen davon, dass es im nördlichen Ostpreußen vor 1945 nie orthodoxen Kirchenbesitz gegeben hat.

Was die Moskauer Verfügung für die Praxis bedeutet, kann man beim ehemaligen Ordensschloss Waldau sehen. Die 1264 erbaute Befestigungsanlage ist immer wieder umgebaut worden, im Kern aber erhalten geblieben. Zeitweise war sie preußische Domäne, Landwirtschaftsschule und Lehrerseminar. Auf dem Vorhof erinnert ein Gedenkstein »an unsere im Weltkrieg gefallenen Seminarbrüder und Kameraden.« An den Fassaden des Gebäudes bröckelt der Putz. Eine Sanierung täte not. Aber dazu fehlt dem kirchlichen Besitzer das Geld.

In Orlovka, einst Nesselbeck, nur wenige Kilometer von der Königsberger Stadtgrenze entfernt, steht ein im Stil des Mittelalters neu errichtetes Hotel. Mit seinen Türmen und Brückenaufgängen sieht es aus wie eine Märchenburg aus einem Walt Disney-Film. Die Inneneinrichtung des Restaurants und der Bankettsäle ähnelt einem Museum. Es wimmelt von behelmten Rittern in Kettenhemden und mit blank geputzten Rüstungen. Wände sind mit Wappen sowie Umhängen und Fahnen des Deutschen Ritterordens drapiert. In Gardinen ist das weiße Ordenskreuz eingewebt. Bunte Glasfenster zeigen alte ostpreußische Städte und die Standorte von Ordensburgen. An der Decke eines Saales sind die Namen sämtlicher Hochmeister verzeichnet. Gäste können von einer Galerie aus verfolgen, wie in einer Arena Darsteller in Rittermontur mit Schwertern und Hellebarden gegeneinander kämpfen.

Die Freude an derartigen Spektakeln ist in und um Königsberg weit verbreitet. An vielen Orten finden Festspiele statt, bei denen mittelalterliche Kultur gezeigt und ritterliche Kämpfe vorgeführt werden. Miniaturfiguren von Rittern und ihrer Ausrüstung werden in zahlreichen Läden angeboten. Auch spätere Ereignisse wie die Schlachten in der Zeit der Napoleonischen Kriege werden in groß angelegten Nachstellungen Einheimischen und Touristen vorgeführt. Was man als Modewelle oder als Werbeaktion der Tourismusbranche deuten könnte, ist wohl eher die späte Reaktion auf eine Zeit, in der die neu angesiedelten Sowjetmenschen nicht erfahren sollten, was sich vor ihnen in diesem Territorium ereignet hat.

Das Königsberger Gebiet hat zahlreiche Wandlungen durchlaufen. »Militärischer Sperrbezirk mit angeschlossener Fischfangflotte«, hat es einmal ein Vertreter der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Die Baltische Flotte liegt immer noch in Pillau. Die Armee baut ihre Präsenz an der Küste mit neuen Unterkünften und Werkstätten aus. Aber in anderen Orten wurden viele Soldaten abgezogen. In Insterburg, schon zu deutscher Zeit eine klassische Garnisonsstadt, stehen viele der alten Backstein-Kasernen leer. Sie verfallen, und niemand weiß so recht, wie man sie künftig nutzen kann. Anders die Lage auf dem Lande. Noch vor zehn Jahren glichen die Ländereien beiderseits der Fernstraße zwischen Königsberg und Gumbinnen einer Ödnis. Die Felder lagen brach, die Wiesen waren versteppt und versumpft. Heute sind zahlreiche Äcker wieder bebaut, mit Raps, Mais und Korn. Nur grasende Herden sind noch eher selten.

Von der Euphorie, die in den 90-er Aufbruchsjahren herrschte, ist wenig geblieben. Die Vorstellung, die Oblast könnte als Freihandelszone eine Art Hongkong an der Ostsee werden, hat sich als unrealistisch erwiesen. Es sind weniger ausländische Investoren gekommen, als man gehofft hatte. Das Leben in der von den EU-Ländern Litauen und Polen eingeschlossenen Exklave ist wegen der umständlichen Transportwege teurer als im Mutterland. Auch lässt die Attraktivität der Region bei Russen aus Moskau nach. So berichtete erst jüngst eine örtliche Zeitung, Käufer aus der Hauptstadt versuchten, die einst erworbenen Immobilien an der Küste wieder loszuwerden. »Wir müssen den Gürtel enger schnallen, um die Krim wieder aufzubauen«, sagen staatstreue Kaliningrader.

Wer von Königsberg in die Hauptstadt Moskau reisen will, muss entweder fliegen oder er braucht ein Transitvisum. Immerhin gibt es zu den Nachbarländern einen kleinen Grenzverkehr. Polen hat dafür im vergangenen Jahr rund 180.000 Genehmigungen ausgestellt. Auch die Träume mancher Deutscher sind geplatzt. Das Gerücht, Moskau sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bereit gewesen, das Königsberger Gebiet an Deutschland zu verkaufen, entsprach mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit. Ebenso ist die Hoffnung bundesdeutscher Nationalisten und Rechtsextremisten auf eine Regermanisierung Ostpreußen dahin. Viele der von ihnen umworbenen Deutschen, die aus asiatischen Sowjetrepubliken zugewandert waren, sind in die Bundesrepublik übergesiedelt. Die verbliebenen Russlanddeutschen haben im Gebiet einen Bevölkerungsanteil von etwa einem Prozent.

Der Exklave-Status hat bei den Bewohnern des Gebietes ein ausgeprägtes Regionalbewusstsein entstehen lassen. Die Rückbesinnung auf Jahrhunderte deutscher Geschichte und Kultur hat ihnen dabei geholfen, eine eigene Identität zu entwickeln. Manche sprechen vom Königsberger Gebiet als Neupreußen. Berlin liegt geografisch näher als Moskau. Das hat Auswirkungen auf ihre Wahrnehmung. Aber das bedeutet nicht, dass sich die Menschen im nördlichen Ostpreußen von Russland lösen möchten. In ihrer Ausgabe vom Juni 2014 berichtet der deutschsprachige Königsberger Express von einer Umfrage, wonach 88 Prozent der Gebietsbewohner die Zukunft ihrer Region eindeutig im Bestand der Russischen Föderation sehen. Fazit der Redaktion: »Die Idee einer Loslösung von Russland ist in den letzten elf Jahren, in denen wir diese Umfrage durchführten, noch nie so eindeutig abgelehnt worden.«

Der Artikel erschien zuerst im DOD – deutscher Ostdienst. Nachrichtenmagazin des Bundes der Vertriebenen. Die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung des DOD und des Autors.

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