Die polnische Schauspielerin Sława Przybylska sang im »al globe« jiddische Lieder
Gerold Paul

Potsdamer Neueste Nachrichten • 21.04.2004

Vor einundsechzig Jahren, im April, erhoben sich beherzte Juden im Warschauer Getto zum einem Aufstand auf Leben und Tod. SS- und Polizeiführer Stroop gab als Chef dieses Distriktes am 16. Mai 1943 zu Protokoll: »Der von den Juden und Banditen geleistete Widerstand konnte nur durch energischen und unermüdlichen Tag- und Nachteinsatz der Stoßtrupps gebrochen werden«.

Nur so (und mit Hilfe der polnischen Polizei) war es »gelungen, insgesamt 56065 Juden zu erfassen und nachweislich zu vernichten«, wobei ein kleiner Trupp Aufständischer tat, was knapp zweitausend Jahre zuvor die Verteidiger der jüdischen Feste Masada bei ihrer Eroberung durch römische Truppen berühmt gemacht hatte: Er entzog sich durch Suizid den vernichtenden Strafen der Deutschen. Das Getto selbst wurde, wie Jerusalem im Judäischen Krieg um 70 n. Chr., zerstört.

Halboffiziell

Auch für die »Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland« (ZWST) und ihren Potsdamer Ableger KIBuZ sind diese Kämpfer von Warschau Märtyrer und Sieger in der Niederlage geblieben. Man ehrt sie, wie am Montag bei einer halboffiziellen Veranstaltung im Haus der Begegnungen »al globe«, man nutzt ihren kämpferischen Mut, sich selber Mut zu machen, zu integrieren, wer als sprachunkundiger »Aussiedler« Russlands in Potsdam Fuß zu fassen sucht. Fast 140 Gäste – wohl die ganze jüdische Gemeinde der Landeshauptstadt – nahmen also teil an einem Konzert, das ZWST und KIBuZ finanzierten und organisierten – »al globe« gab den Raum und warb.

»Zusammen mit Brüdern« nannte die polnische, aber nicht jüdische Interpretin Sława Przybylska aus Warschau ihr zweistündiges Nonstop-Konzert mit ganz unterschiedlichen Liedern des zerstreuten und doch auserwählten Volkes, darin sich Freude und Leid, Sehnsucht und Tod in der Bescheidenheit ihres Alltags, oder im Getto, die Hoffnung auf ihren »einzigen« Gott so unverwechselbar ausdrücken.

Da war das mit tiefer Kehlstimme gesungene Lied vom »Goldenen Land« – wie das verheißene – die Familienidylle, wo Mutter kocht, der Vater von der Synagoge heimkehrt und Großmutter die alten Geschichten erzählt. Kinder werden ermuntert, zu singen und zu tanzen, so lange sie jung sind, denn bis zum Alter ist es ja nur ein Katzensprung.

Oder wie ein armer Jude Gott begegnet, je mehr Wein er trank. Die Schauspielerin Sława Przybylska sang diese Lieder aus Poesie, Sehnsucht, Witz und abgrundtiefer Traurigkeit mit fast kindlicher Freude und geradezu hinreißender Anteilnahme, als sei sie eine von jenen, die wie gebannt vor ihr saßen. Warm, meist mit dunklem Timbre, aber auch hart, wenn es um Lieder vom Getto in Warschau oder Bialystok ging: Juden, seid lustig, lasst euch nicht den größten Schatz rauben, die Hoffnung!

Janusz Tylman, ebenfalls aus Warschau, begleitete die charmante Interpretin einfühlsam und warm am Flügel. Gesungen wurde meist jiddisch, alle Texte dann in russisch und deutsch übersetzt, denn viele der Neu-Potsdamer verstehen die deutsche Sprache nicht.

Mut machende Lieder

Vieles sollte ja Mut machen: Das trotzige »Du bist stark!«, an Herrschele im KZ gerichtet, nicht herumzustehen, wenn das »Städtele brennt«, sondern zu löschen, gar dem Unaussprechlichen zu trotzen, denn »wenn Rebbe singt«, falle jener tot um. Wär's doch so. Mut wird in diesem Volk ja immer gebraucht – das Trauma vom Dritten Reich ist ständig präsent, die jahrhundertelange Getto-Angst auch. Deshalb lobte man, »zusammen mit Brüdern«, Gott und die Thora, sang den 133. Psalm vom Frieden der Seele.

Kaum öffentliches Publikum, eher gewann man den Eindruck, eine geschlossene Gesellschaft vor sich zu haben. Zu fremd, zu weit weg, wenn man hörte, das »unschuldige Blut Abels« könne nicht weggewaschen werden, oder beim Kampfgesang im Rhythmus eines Marsches (zu dem man aufzustehen hatte), darin es heißt: »Sag nie, es sei der letzte Weg, unsere Stunde wird noch kommen«, dies Lied aber sei »mit Blut geschrieben hinter Kerkermauern«.

»Lustige Lieder« von lustigen Juden auf Leiterwagen, verliebt, oder mit meckerigen Ziegen beschäftigt, beendeten diesen Abend.