Am Fuße der Karpaten im Vierländereck
Im Norden des östlichen Teils der Slowakei liegen die Karpaten mit ihrer höchsten Erhebung, der Hohen Tatra. Südlich befindet sich das Slowakische Erzgebirge mit Rosenau/Rožňava und Metzenseifen/Medzev, im Nordosten liegt das Gebiet des Scharoscher Berglands mit Zeben/Sabinov und Eperies/Prešov, das im Norden an Polen, im Westen an die Zips und im Süden an Kaschau/Košice – nach Pressburg/Bratislava die zweitgrößte Stadt der Slowakei – grenzt. Im Südosten liegt die Ostslowakische Tiefebene als Teil der Großen Ungarischen Tiefebene. Der Osten der Region grenzt an die Karpatenukraine, deren Hauptstadt Uschhorod sich direkt an der slowakischen Grenze befindet.
Vielvölkergebiet zwischen den Fronten
Als die Osmanen das Gebiet des heutigen Ungarn im 16. Jahrhundert erobert hatten, bezeichnete man die von slawischer, ungarischer, deutscher, jüdischer, ruthenischer und Roma-Kultur geprägte heutige Ostslowakei überwiegend als »Oberungarn« – ab dem 18. Jahrhundert auch die anderen Teile der heutigen Slowakei. Vermittelt von einheimischen Kaufleuten und Studenten sowohl deutscher als auch slawischer Sprache, konnte die Reformation schon früh in der Region Fuß fassen, was sich in der Annahme der Confessio Pentapolitana durch den seit 1480 bestehenden Bund der Städte Bartfeld, Eperies, Zeben, Kaschau und Leutschau/Levoča im Jahr 1549 zeigt. Fast 140 Jahre später war das »Eperieser Blutgericht« von 1687, bei dem 24 protestantische Bürger und Adlige enteignet und zum Tode verurteilt wurden, ein Fanal der habsburgischen Gegenreformation. Kaschau war in den Aufständen des ungarischen protestantischen Adels gegen die Habsburgerherrschaft vom 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts ein oft umkämpftes Streitobjekt. Nach dem Untergang der Doppelmonarchie wurde hier 1918 eine pro-ungarisch und kommunistisch orientierte »Ostslowakische Republik« proklamiert, das Gebiet jedoch kurz danach in die Tschechoslowakei integriert. 1938 wurde der südliche Teil der Ostslowakei dann wieder Ungarn zugeschlagen. Kaschau wurde das Drehkreuz für die Deportation der ungarischen jüdischen Bevölkerung nach Auschwitz. 1945 wurde die Stadt zum provisorischen Regierungssitz der Tschechoslowakei bis zu ihrer endgültigen Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft. Viele Angehörige der deutschen und der ungarischen Minderheit in der Region wurden in Lagern interniert und zwangsausgesiedelt.
Jahrhundertelang dabei: Deutsche in der Ostslowakei
Schon im 12. Jahrhundert siedelten sich erste Deutsche in der Region an. Die nach dem Mongolensturm 1241 aus den deutschsprachigen Ländern eingeladenen »Gastsiedler« (hospites) des ungarischen Königs wurden 1247 in Eperies erwähnt, ab 1261 erhielten sie in Kaschau Eigenrechte und das 1241 zum ersten Mal urkundlich bezeugte Bartfeld wurde 1312 als deutsche Stadt beschrieben. Auch Metzenseifen erlebte in dieser Zeit einen starken Zuzug deutschsprachiger Familien, die Bergbau und Handwerk prägten – später im Zuge der Industrialisierung vor allem durch die etwa hundert Hammerschmieden. Die Deutschen von Bartfeld, Eperies, Kaschau, Rosenau und Zeben waren hauptsächlich in Handwerk, Handel und Dienstleistungen tätig. Die letzte Einwanderung einer größeren deutschen Gruppe in die Region fand 1899 nach Michalok und Merník statt. Es handelte sich um ursprünglich aus Böhmen stammende und über Galizien eingewanderte Zimmerleute, die im nahegelegenen Quecksilberbergwerk arbeiteten.
Von Deutschen geprägte Kulturgeschichte
Nach deutschem Vorbild wurden auf dem Gebiet der heutigen Ostslowakei ab dem 14. Jahrhundert Zünfte gegründet, deren Mitglieder zunächst ausschließlich Deutsche waren und im Mittelalter zur Führungsschicht der städtischen Bevölkerung gehörten. Bartfeld und Kaschau wurden Zentren von Handel und Handwerk. In der in Bartfeld gegründeten Druckerei von David Gutgesell wurde das erste bekannte Buch in slowakischer Sprache gedruckt: eine Übersetzung des Kleinen Katechismus von Martin Luther. Bereits 1531 wurde in Eperies die erste evangelische Kirchengemeinde auf dem Gebiet der heutigen Slowakei gegründet. Eine wichtige Rolle für die Annahme der Reformation spielte der Bartfelder Leonhard Stöckel, der die Confessio Pentapolitana verfasste. Als Rektor des örtlichen Gymnasiums setzte er Maßstäbe für die langfristige Entwicklung des Bildungswesens der ganzen Region. Kaschau entwickelte sich zu einem bedeutenden Bildungs- und Kulturzentrum der ungarischen adeligen und deutschsprachigen bürgerlichen Eliten, mit Theatern, Verlagen und Vereinen in beiden Sprachen. Ab 1838 erschien das Kaschau-Eperieser Kundschaftsblatt, später Kaschauer Zeitung, bis 1867 in deutsch-ungarischer Ausgabe. Zweisprachig wuchs auch ein später international berühmter Sohn Kaschaus auf – der Schriftsteller Sándor Márai, 1900 unter dem Namen Grosschmidt als Nachfahre von Zipser Deutschen hier geboren. Ein weiterer literarisch tätiger deutschsprachiger Kaschauer, der dann allerdings eher in der Welt der Politik berühmt wurde, ist der von 1999 bis 2004 amtierende slowakische Präsident Rudolf Schuster, der in Metzenseifen aufwuchs.
Mantakische Gemütlichkeit
Als »deutschester« Ort in der Ostslowakei gilt heute immer noch Metzenseifen – wenn man Hopgarten/Chmeľnica, das in der Region Prešov liegt, sich aber als zipserdeutsch versteht, nicht mitbetrachtet. Das Mantakische, die dort gesprochene Mundart, wird zwar von immer weniger Menschen beherrscht, es gibt aber noch Eltern, die sie ihren Kindern beibringen. Auch der Karpatendeutsche Verein in der Slowakei bemüht sich vor Ort um die Weitergabe der deutschen Kultur an junge Menschen. International bekannt ist der Metzenseifener Helmut Bistika, der unter anderem Kunstwerke mit mantakischem Bezug schafft. Sein behagliches Galerie-Café, Mariánske námestie 250, ist unbedingt einen Besuch wert.
Unser Tipp: Jüdische Spuren in der Ostslowakei
In Kaschau kann man fünf Synagogen besuchen, die die unterschiedlichen Glaubensausrichtungen spiegeln: die Orthodoxe Synagoge in der Zvonárska, die 1927 geweihte imposante Neue orthodoxe Synagoge in der Puškinova und die im gleichen Jahr errichtete Neologe Synagoge mit der großen Kuppel in der Moyzesova 66, in der heute die Staatliche Philharmonie spielt. Zu entdecken sind in der Stadt darüber hinaus eine Status-quo-ante-Synagoge und eine chassidische Synagoge. In Bartfeld ist eine jüdische Vorstadt mit Synagoge, Jeschiwa und jüdischem Badehaus zu besichtigen. Seit dem 19. Jahrhundert bekannten sich viele jüdische Menschen in der Region zur deutschen Sprache und Kultur, assimilierten sich nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich von 1867 aber auch zunehmend ungarisch.
Literatur
Franke, Arne: Kaschau /Kosice. Regensburg 2013
Hochberger, Ernst: Das große Buch der Slowakei. Sinn 2017
Micklitza, André: Slowakei. Erlangen 2019, S. 234–351
Monzer, Frieder: Reiseführer Slowakei. Unterwegs zwischen Donau, Tatra und Beskiden. Berlin 2018, S. 311–354
Pöss, Ondrej: Geschichte und Kultur der Karpatendeutschen. Preßburg 2005
SakoHoess, Renata: SLOWAKEI. Köln 2004, S. 188–205
Weger, Tobias/Gündisch, Konrad: Kaschau/Košice. Eine kleine Stadtgeschichte. Regensburg 2013
Links
www.stadtschreiber-kaschau.blogspot.com
Blog der Stadtschreiberin des Kulturforums Kristina Forbat in Kaschau 2013
www.geo.de/reisen/22305-rtkl-bardejov-die-mittelalterliche-perle-der-slowakei
www.marcopolo.de/reisefuehrer-tipps/kaschau
Beiträge im OME-Lexikon
www.ome-lexikon.uni-oldenburg.de/orte/bartfeld-bardejov
www.ome-lexikon.uni-oldenburg.de/orte/eperies-presov
www.ome-lexikon.uni-oldenburg.de/orte/zeben-sabinov
Beiträge der Teilnahme an der Journalistenreise des Kulturforums nach Kaschau 2012:
www.deutschlandfunkkultur.de/juedisches-leben-in-kosice-100.html
www.deutschlandfunkkultur.de/hoffnung-auf-einen-neubeginn-100.html
von Adolf Stock
www.nzz.ch/feuilleton/wege-aus-der-zeitenschrunde-ld.620556
von Andreas Breitenstein
www.deutschlandfunkkultur.de/sandor-marai-lunik-ix-und-andy-warhol-100.html
von Joachim Hildebrandt
www.welt.de/kultur/article112274184/Kosice-verbirgt-seine-entsetzlichen-Brueche.html
von Beitrag von Marko Martin
www.deutschlandfunk.de/fuer-fleiss-und-betriebsamkeit-bekannt-100.html
von Conrad Lay
www.karpatenblatt.sk/podcast-im-cafe-der-geschichten
Helmut Bistika erzählt mantakische Geschichten in seinem Metzenseifener Café
www.mantakisch.de
Website mit Informationen über den Dialekt und Wörterbuch
www.difmoe.eu/periodical/uuid:ccc12626-2fb9-4d69-b656-07c5ef911b43
www.difmoe.eu/periodical/uuid:46f31a13-e3f5-4bd6-9096-4c81c236fc4f
Digitalisate des Kaschau-Eperieser Kundschaftsblatts und der Kaschauer Zeitung auf der Website des Digitalen Forums Mittel- und Osteuropa