Tanja Krombach

Am 26. Juni 2002 luden das Polnische Institut sowie die Deutsch-Polnische Gesellschaft anlässlich der Präsentation der neuesten Ausgabe des deutsch-polnischen Magazins DIALOG zu einem Podiumsgespräch mit dem Thema „Polen und Juden: Geschichte, die trennt und verbindet“ ein. Es diskutierten Basil Kerski, Chefredakteur von DIALOG, Krzysztof Czyżewski, Herausgeber der polnischen Ausgabe von Nachbarn - dem viel diskutierten Buch von Jan Tomasz Gross über den Mord an den Juden im ostpolnischen Jedwabne durch ihre Mitbürger -, der Soziologieprofessor Ireneusz Krzemiński, der Historiker Professor Andrzej Paczkowski und Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Warschau.

Am 26. Juni 2002 luden das Polnische Institut sowie die Deutsch-Polnische Gesellschaft anlässlich der Präsentation der neuesten Ausgabe des deutsch-polnischen Magazins DIALOG zu einem Podiumsgespräch mit dem Thema „Polen und Juden: Geschichte, die trennt und verbindet“ ein. Es diskutierten Basil Kerski, Chefredakteur von DIALOG, Krzysztof Czyżewski, Herausgeber der polnischen Ausgabe von Nachbarn – dem viel diskutierten Buch von Jan Tomasz Gross über den Mord an den Juden im ostpolnischen Jedwabne durch ihre Mitbürger -, der Soziologieprofessor Ireneusz Krzemiński, der Historiker Professor Andrzej Paczkowski und Thomas Urban, Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Warschau. Moderiert wurde das Gespräch von Angelica Schwall-Düren, der Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e. V.

Krzysztof Czyżewski stellte zunächst seine Stiftung Pogranicze in Sejny vor. In diesem Ort in der Grenzregion zu Litauen lebten bis zum Zweiten Weltkrieg Polen, Litauer und Juden. Letztere machten 30 bis 40 Prozent der Einwohner aus; heute legen nur noch die von ihnen genutzten Gebäude Zeugnis vom reichen jüdischen Leben in Sejny ab. Czyżewski und seine Organisation sorgen für die Restaurierung der Synagoge und des ehemaligen jüdischen Viertels und lösen bei der Bevölkerung das Gefühl aus, dass „die Juden zurückgekehrt“ seien – auch wenn keines der Mitglieder einen jüdischen Hintergrund hat. Czyżewski und seine Mitarbeiter gehören zu der jüngeren Generation Polens, die sich um die Bewahrung und Präsentation der ehemals multinationalen Kultur ihres Heimatlandes bemühen – sei es die der Juden oder auch der Deutschen, um die sich der Verein Borussia verdient gemacht hat. Czyżewski und seiner Stiftung wurde bald deutlich, dass bloße Vergangenheitspflege nicht alles sein konnte. Einzuleiten und aufrechtzuerhalten sei der Dialog mit den heute zu großen Teilen in den USA oder Israel wohnenden Juden, die die Verfolgung in Polen im Dritten Reich überlebt haben. Auch aus diesem Grunde sei für ihn die Herausgabe des Buches Nachbarn, in dem der exilpolnische, in den USA lebende Historiker Gross auch die Stimmen Überlebender gesammelt hat, so wichtig gewesen. Basil Kerski stellte die Bedeutung der Aufarbeitung der Beziehungen zwischen Polen und Juden heraus. Die Diskussion um den historischen und aktuellen Umgang mit Minderheiten sei für eine Demokratie essentiell. In Polen machten Juden vor dem Zweiten Weltkrieg zehn Prozent der Gesamtbevölkerung und 40 Prozent der Einwohner in den Städten aus. Der heute ethnisch weitgehend homogene Nationalstaat müsse sich nicht nur mit seinem jüdischen Kulturerbe, sondern auch mit der eigenen Verantwortung am Holocaust beschäftigen. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg hätte es liberale katholische Intellektuelle gegeben, die sich Gedanken um die polnische Mitschuld gemacht hätten.

Professor Krzemiński, Herausgeber eines Buches mit dem Titel „Sind Polen Antisemiten?“ (Czy Polacy są antysemitami? Warschau, 1996) hob als Besonderheit des Zusammenlebens von Polen und Juden vor 1939 heraus, dass es vor allem ein Nebeneinander gewesen sei. Die jüdische Welt sei homogener und abgegrenzter gewesen als in Deutschland. Polen und Juden trafen sich nur im Bereich der Intelligenz. Krzemiński stellte die These von einer spezifisch polnisch-jüdischen Konkurrenz auf, bei der es um den Mythos des sich für Religion und Vaterland aufopfernden Polen im Gegensatz zum berechnenden Juden oder auch Deutschen ginge. Vielen Polen falle es schwer, anzuerkennen, dass die polnischen Leiden gegenüber denen der Juden im Holocaust gleichsam verblassen.

Prof. Czyżewski wies darauf hin, dass die Rolle der Polen als Opfer während der Zeit der deutschen Besatzung zunächst der Hauptgegenstand historischer Forschungsarbeiten gewesen sei. Nach der politischen Wende Ende der 1980er Jahre sahen sich die Polen auch als Opfer des Kommunismus. Dabei gab es eine Tendenz in der Geschichtsschreibung, die Schuld an diesem System aufgrund des relativ hohen Anteils jüdischstämmiger Mitglieder in den Anfangsjahren der Partei pauschal den Juden zuzuschreiben.

Thomas Urban kam auf die Rolle der Deutschen in der aktuellen Diskussion um die polnisch-jüdischen Beziehungen zu sprechen. Polnische Kommentatoren werfen der deutschen Presse immer wieder vor, gezielt nach Symptomen für den polnischen Antisemitismus zu suchen – etwa in der Diskussion zu Jedwabne oder zu den Kreuzen in Auschwitz -, um Deutschland von seiner Schuld zu entlasten.

Zum Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung für die verfolgten jüdischen Mitbürger gab Thomas Urban zu bedenken, dass Polen, die zur Zeit der Besatzung Juden versteckten, von den Deutschen wesentlich grausamer und weit reichender bestraft wurden als andere okkupierte Völker wie beispielsweise die Holländer. Dies sei einer der historischen Umstände, die man in den USA, wo der Antisemitismus oft als Teil der polnischen Kultur angesehen werde, nicht genügend berücksichtige.

Zur generellen Frage, ob sich Deutschland in den polnisch-jüdischen Dialog einschalten und ob es nicht eigentlich ein „Trialog“ sein sollte, gab es unterschiedliche Meinungen. Vorherrschend war jedoch die Auffassung, dass sich Deutschland als Verursacher der größten Katastrophe in den polnisch-jüdischen Beziehungen – der Vernichtung der europäischen Juden, die zum großen Teil auf polnischem Boden stattfand – an der Diskussion beteiligen müsse. Czyżewski wies darauf hin, dass man auch Israel in den Dialog einbeziehen müsse. Ein positives Signal in diesem Zusammenhang sei die Teilnahme des israelischen Außenministers Simon Perez an Gesprächen in Warschau über das Museum der polnischen Juden, das 2008 eröffnet werden soll.

Czyżewski betonte die Bedeutung der Jedwabne-Debatte – dokumentiert in der neuesten deutsch-polnischen Informationsbulletin Transodra – für die moderne polnische Bewusstseinsbildung, da sie etwas aufgebrochen habe. Auch in Kerskis Augen zeigte die Diskussion die Vielschichtigkeit und Offenheit der polnischen Gesellschaft. Selbst innerhalb der katholischen Kirche habe es verschiedene Positionen dazu gegeben. Insgesamt seien Fortschritte beim polnisch-jüdischen Dialog zu verzeichnen. Junge Polen wüssten mittlerweile zwischen den Opfern der Polen und der Juden während des Dritten Reiches zu unterscheiden. Krzemiński wies darauf hin, dass gerade bei jungen Leuten ein starkes Interesse an der übernationalen, auch von der jüdischen Kultur geprägten Regionalgeschichte zu verzeichnen sei. Paczkowski äußerte in diesem Zusammenhang, dass der Sinn eines Dialogs zwischen den Polen und Juden auch darin bestünde, sich selbst kennen zu lernen.

Da der eingeladene Vertreter der jüdischen Gemeinde Warschaus verhindert war, fehlte in der Runde im Polnischen Institut eine aktuelle jüdische Stimme aus Polen. Dafür lag die neueste Ausgabe von Midrasz, der seit 1997 existierenden polnischen jüdischen Wochenzeitung aus. Sie dokumentiert die polnisch-deutsch-jüdischen Gespräche, die im März diesen Jahres in Warschau unter anderem mit dem polnischen Ministerpräsidenten Aleksander Kwasniewski, dem Mitglied des Präsidiums des Zentralrates der Juden in Deutschland Salomon Korn und Rita Süssmuth stattgefunden haben. Nach den Angaben von Midrasz sind heute über 5000 Juden in regionalen Organisationen aktiv, die Zahl der Polen jüdischer Herkunft, die ihre Religion nicht ausüben, schätzt das Monatsmagazin auf 25 000. Bei dieser Gruppe sei ein zunehmendes Interesse für ihre Wurzeln und die Definition ihrer jüdischen Identität im heutigen Polen zu beobachten. Auch vor diesem Hintergrund ist der aktuelle polnisch-jüdische Dialog von Bedeutung für die Zukunft.

DIALOG
Deutsch-polnisches Magazin

Stiftung Pogranicze

Verein Borussia

Transodra
Deutsch-polnisches Informationsbulletin

Midrasz
Polnische jüdische Wochenzeitung